Die jüngsten Wahlergebnisse waren natürlich auch in den letzten Mittagspausen ein Gesprächsthema. Dabei wurde mehrfach die Meinung geäußert, daß das deutsche Parteiensystem vor einem erneuten Umbruch steht. Vor ca. 30 Jahren traten die Grünen auf den Plan, die seinerzeit als Koalitionspartner inakzeptabel waren. Heute sind Rot Grün schon fast Vergangenheit, Schwarz-Grün mehr als denkbar und selbst Jamaika wird immer wieder als Option gehandelt.
Heute stehen die Linke, im Osten ein fester Faktor und in Berlin in einer Rot-Roten Regierungskoalition eingebunden, kurz davor, auch in den westlichen Bundesländern zu einer festen Größe aufzuwachsen. Damit stellt sich für mich natürlich die Frage, wie die SPD langfristig damit umgehen soll. Als die Einheitsfront im Osten schneller zerbröselte als die Mauer fanden die sogenannten Blockflöten, also u.a. die FDP (Ost) und die CDU (Ost), nicht zuletzt dank ihrer üppigen Mitgift an Mitgliedern und Immobilien, Unterschlupf bei ihren Namensvettern im Westen. Obwohl oft viel linientreuer als die Mitglieder der SED selbst, konnten politische Karrieren häufig fast ungebrochen fortgesetzt werden. Soweit ich informiert bin, meisterte manch altgedientes Volkskammermitglied die Wende und zog verzugslos in den Bundestag ein. Auf kommunaler Ebene waren die alten Eliten sehr häufig auch die neuen. Der SPD selbst stand kein Pendant im Osten gegenüber, sie wurde ja mehr oder weniger mit der KPD zur SED zwangsvereinigt. Während sich die SED über die PDS zur Linken entwickelte und dabei z.T. auf die alten Eliten, Strukturen und Mitglieder zugrückgreifen konnte, wuchs sie im Westen aus enttäuschten Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern und sicher auch dem ein oder anderen übriggebliebenen Trotzkisten oder K-Grüppler auf. Und das macht den Umgang mit der Linken schwer, auch wenn häufig eine Mehrheit links der Mitte vorhanden ist.
In Bayern gibt es keine Mehrheit links der Mitte, auch wenn die CSU eine erhebliche Klatsche hinnehmen mußte. Ihre Verluste kamen der FDP, die seit langem mal wieder in den Landtag einzieht, aber vor allem den Freien Wählergruppen zu Gute. Diese Gruppen scheinen sich landesweit zu etablieren, eine bundesweite Aufstellung ist absehbar. Sie sind möglicherweise Ausdruck einer sich immer weiter ausbreitenden Politikverdrossenheit. In einem sehr interessanten Gespräch äußerte mein Gesprächspartner die Ansicht, daß sich die Wahrnehmung von “die da oben” deutlich verschoben hat. Waren damit früher Repräsentanten auf Bundes- oder vielleicht noch auf Landesebene gemeint, so würden heute auch schon Kommunalpolitiker dazu zählen. Aber als Alternative zum Totalausstieg oder zu den klassischen Protestparteien erfüllen sie eine sehr nützliche Funktion. Das Potential, auf das die Freien Wähler zurückgreifen können, wird hier in Flensburg, wo ich einen zweiten Wohnsitz habe, besonders deutlich. Wir in Flensburg konnte bei der letzten Kommunalwahl zur stärksten Fraktion aufsteigen, nicht zuletzt auch mit Themen wie dem Protest gegen überzogene und spekulative Bauprojekte im Hafenbereich. Ich vermute, daß sich die Freien Wähler, so unterschiedlich die Interessenlagen der einzelnen Gruppen auch sein mögen, zu einer 6. Kraft auf Bundesebene entwickeln werden. Und von daher kann man schon Anzeichen für eine Systemveränderung sehen.