Bericht des Wehrbeauftragten

Der Bericht des Wehrbeauftragten wurde am 16. März 2010 vorgestellt. Er ist mittlerweile im Internet verfügbar, die Presse hat ausführlich berichtet. Die einführenden Worte von Reinhold Robbe sind weniger bekannt, aber lesenswert. Daher möchte ich sie an dieser Stelle unkommentiert veröffentlichen:

“Wenn ich rückblickend auf das Berichtsjahr 2009 schaue, dann fallen mir zunächst einmal folgende Namen ein:
Sergej Motz
Alexander Schleiernick
Martin Brunn
Oleg Meiling
Patric Sauer
Diese Namen werden Ihnen nicht unbedingt etwas sagen. Es sind die Namen von fünf jungen Menschen, die ihr Leben noch vor sich hatten. Es sind die Namen von fünf Bundeswehr-Soldaten, die vom Deutschen Bundestag in den  Auslandseinsatz nach Afghanistan entsandt wurden. Es sind die Namen von fünf Menschen, die aus tiefer Überzeugung Soldat wurden, weil sie etwas leisten wollten für ihr Land. Und es sind die Namen der Soldaten, deren Tod wir im
vergangenen Jahr zu beklagen hatten. Die für unser Land gefallen sind. Und es sind die Namen der Soldaten, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Aber es sind nicht nur die gefallenen Soldaten, vor deren Särge ich im vergangenen Jahr stand und die somit für mich ganz persönlich eine emotionale und nicht vergleichbare Bedeutung haben.
Es sind auch die 36 schwer verwundeten Soldaten und die 418 offiziell registrierten Soldatinnen und Soldaten, die mit
posttraumatischen Belastungsstörungen aus dem Einsatz zurückkehrten.
Denn diese menschlichen Schicksale spiegeln in realistischer und zum Teil für die Betroffenen auch in brutaler Weise wider, was es für unsere Soldatinnen und Soldaten heute bedeutet, in einer Einsatzarmee seinen Dienst zu leisten. Diese Schicksale zeigen aber auch, worauf sich das Hauptaugenmerk richten sollte, wenn es um die Gesamtbewertung der Bundeswehr geht.
Und nicht zuletzt lässt sich daran aufzeigen, dass Defizite und kritikwürdige Themen nicht nur mit Unterfinanzierung, sondern auch mit grundsätzlichen Strukturproblemen zu tun haben. Ich will Ihnen das am Beispiel eines 25jährigen Stabsgefreiten erläutern, den ich Ende letzten Jahres im Bundeswehrkrankenhaus hier in Berlin besuchte. Dieser  Soldat wurde bei einem der vielen Gefechte des vergangenen Jahres im Raum Kunduz schwer verwundet. Neben Splitterverletzungen waren es vor allem großflächige Brandverletzungen an den Beinen, die seinen Körper zeichneten.
Die Erstversorgung durch die Sanitäter im Einsatz innerhalb der sogenannten „Goldenen Stunde“ im Lazarett des  Feldlagers hatte gut geklappt. Auch der Rücktransport mit dem Medivac‐Airbus von Afghanistan nach Deutschland verlief ohne Probleme. Die Weiterbehandlung konnte aber nicht wie üblich im Zentralkrankenhaus in Koblenz erfolgen, weil man dort die Abteilung für Schwerstbrandverletzungen wegen Ärztemangel geschlossen hatte. So erfolgte die Überführung nach Berlin in das zivile Unfallkrankenhaus Marzahn. Für die Behandlung dort musste allerdings ein Bundeswehrsanitäter hinzugezogen werden, weil sich die zivilen Ärzte naturgemäß schwer taten, die doch recht eigene Sprache und Terminologie der Bundeswehr zu verstehen. Die Weiterbehandlung des Soldaten erfolgte schließlich im Berliner Bundeswehrkrankenhaus. Bei meinem ersten Krankenbesuch fiel mir auf, dass der Stabsgefreite nicht auf seine eigenen, durch die Brandwunden entstellten Beine schauen konnte. Und wenn der Soldat im Fernsehen Explosionen zu sehen bekam, musste er sofort den Apparat ausschalten. Wie er mir sagte, würde er nicht nur unter seinen äußeren Verletzungen leiden, sondern auch unter den seelischen.
Er hatte das Glück, sofort die Hilfe eines Experten der psychiatrischen Abteilung in Anspruch nehmen zu können. Bei meinem zweiten Besuch, einige Wochen später, konnte ich dann etwas erleichtert feststellen, dass der Stabsgefreite große Fortschritte in seiner Genesung gemacht hatte. Diesmal konnte ich mit ihm auch über seine bisherigen Erfahrungen sprechen. So war der Stabsgefreite maßlos enttäuscht und fassungslos darüber, dass die Verwaltung von ihm bereits wenige Tage nach seiner Verwundung den zuviel gezahlten Auslandsverwendungszuschlag, kurz AVZ  genannt, von ihm zurück verlangte. Das Problem war, die Soldaten im Auslandseinsatz bekommen den AVZ jeweils am Monatsanfang im Voraus ausgezahlt. Der Soldat war aber, so perfide es klingt, schwer verwundet vor Monatsende aus dem Einsatz heimgekehrt. Ich habe dann diesen Fall zum Anlass genommen, das Verteidigungsministerium auf diese unmögliche Regelung hinzuweisen. Kurze Zeit darauf erhielt ich die Antwort.
Man bedankte sich für meinen Hinweis und erklärte, in Zukunft werde man von verwundeten Soldaten keinen AVZ mehr zurückfordern müssen, weil der AVZ künftig nachträglich ausgezahlt werde.
Ich nenne das ein Musterbeispiel dafür, wie unsensibel die Ministerialbürokratie sein kann!
Aber die Geschichte des verwundeten Stabsgefreiten geht noch weiter:
Etwa zwei Wochen nach seiner Verwundung teilte ihm die Wehrverwaltung mit, er sei mit Ablauf der verlängerten Dienstzeit aus der Bundeswehr entlassen. Diese Entlassungsmitteilung wurde nach einer Beschwerde mit dem Hinweis auf einen Irrtum zwar zurückgezogen. Der Soldat machte sich aber trotzdem Sorgen über seine Zukunft, weil er nicht wieder in seinem alten Beruf als Maler und Lackierer arbeiten konnte, wie er mir sagte. Die Ärzte hätten ihm erklärt, dass aufgrund seiner Brandwunden der Umgang mit Lösungsmitteln und chemischen Dämpfen ausgeschlossen sei. Der Stabsgefreite hatte sich ursprünglich für vier Jahre verpflichtet. Diese hatte er bereits abgeleistet. Seinem Antrag auf Verlängerung war lediglich für die Zeit des Afghanistan- Einsatzes stattgegeben worden. Aufgrund seiner schweren Verwundungen berief sich der Stabsgefreite nun auf das Einsatzweiterverwendungsgesetz. Nach diesem Gesetz erhalten die Geschädigten einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung als Berufssoldat, Beamter auf Lebenszeit oder in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis beim Bund, aber nur dann, wenn sie eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent aufweisen können. Leider konnte sich der junge Stabsgefreite nicht auf das Weiterverwendungsgesetz berufen, weil er vermutlich knapp unter der Mindestnorm von 50 Prozent  Erwerbsunfähigkeit bleiben wird, wie die Ärzte prognostizieren. Ich schildere Ihnen den Fall dieses Stabsgefreiten so ausführlich, weil sich daran sehr gut ablesen lässt, wie es konkret um die soziale Absicherung der Soldaten im Einsatz bestellt sein kann.
Für den Stabsgefreiten ergibt sich nun folgende Situation:
Im Vertrauen auf die Fürsorgepflicht der Bundeswehr hatte er sich als Wehrpflichtiger für den Beruf des Soldaten auf Zeit entschieden. Wegen seiner schweren Verwundungen wird er nicht wieder in seinen alten Beruf zurückkehren können. Eine Weiterverwendung bei der Bundeswehr kommt aber auch nicht infrage, weil er nicht über die 50‐Prozent‐Hürde der Wehrbeschädigung kommt. Er ist womöglich für sein Leben gezeichnet von seinen körperlichen und seelischen Verwundungen und darüber hinaus enttäuscht wegen des unsensiblen Verhaltens seines Dienstherrn.
Dieser Fall dokumentiert aus meiner Sicht nicht nur die Notwendigkeit, bestimmte Leistungsgesetze nachzubessern. Der Fall macht auch deutlich, dass die Soldaten besonders im vergangenen Jahr und speziell in Kunduz jeden Tag vor Augen haben, wie sich Einsatz und kriegsähnliche Szenarien auswirken können. Die Bundeswehrführung ist nach meiner Bewertung jedoch mit Blick auf die Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten noch nicht in der Einsatzrealität angekommen. Und wenn ich auf die Fürsorge zu sprechen komme, dann beziehe ich diese nicht nur auf die soziale Absicherung bei schwerer Verwundung oder Tod im Einsatz, sondern gerade auch auf den Schutz und die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten.
Auch hier einige konkrete Beispiele aus der Praxis:
Vor etwa vierzehn Tagen machte ich einen unangemeldeten Besuch bei einem Truppenteil der Infanterie, der unmittelbar vor der Verlegung nach Afghanistan stand. In einer Gesprächsrunde mit Soldaten unterschiedlicher
Dienstgrade trugen mir diese Folgendes vor: Soldaten, die als Kraftfahrer für schwere geschützte Fahrzeuge, wie den zwölfeinhalb Tonnen schweren Transportpanzer „Dingo“ und den über 10 Tonnen schweren Panzerspähwagen „Fennek“, eingeplant waren, hatten diese Fahrzeuge zwar schon gesehen, aber noch nicht gefahren. Um diese schweren geschützten Fahrzeuge im Einsatz wirklich sicher beherrschen zu können, bedarf es einer mehrmonatigen Ausbildung. Sogar für Außenstehende ist es absolut nachvollziehbar, wenn mir die Soldaten sagen, dass sowohl die Bedienung wie auch das Auf- und Absitzen im Gefecht wirklich drillmässig geübt werden müssen. Und weil die Ausbildung auf diesen „Dingos“ und „Fenneks“ wegen fehlender Fahrzeuge nicht mehr rechtzeitig stattfinden konnte, können die Kraftfahrer erst vor Ort in Kunduz ausgebildet werden. Was dies wiederum in dem schwierigen Gelände und bei den schweren Gefechten für die Soldaten bedeuten kann, muss ich an dieser Stelle nicht beschreiben.
Ich muss an dieser Stelle aber deutlich machen, dass ich beileibe nicht zum ersten Mal auf diese Fähigkeitslücken in der Ausbildung hinweise. Bereits seit Jahren kritisiere ich diesen Punkt. Trotzdem ist es bis heute nicht gelungen, die für die Ausbildung erforderliche Zahl von geschützten Fahrzeugen anzuschaffen. Das optimale Beherrschen der nicht einfach zu lenkenden Fahrzeuge kann entscheidend sein für das Überleben im Einsatz. Aus diesem Grund fehlt mir jedes Verständnis für dieses gravierende Defizit in der Ausstattung und in der Ausbildung!
Der immer wieder gehörte Einwand, es stehe für diese Einsatznotwendigkeiten kein Geld zur Verfügung, ist vor diesem Hintergrund nicht hinnehmbar.
Wohlwissend, dass es zwar keinen hundertprozentigen, aber sehr wohl einen optimalen Schutz für die Soldaten geben kann, darf fehlendes Geld in diesem Fall kein Argument sein. Bereits bei der hatte ich gefragt, ob gewisse Mängel und Defizite mit den Ansprüchen einer modernen Einsatzarmee zu vereinbaren seien.
Die Antwort liegt auf der Hand: ein deutliches Nein.
Die Realität, wie sie sich in den deutschen Streitkräften ist gekennzeichnet durch unübersichtliche Führungsverantwortung, zu viel überflüssige Bürokratie, Reibungsverluste hervorgerufen durch die Trennung von Truppe und Truppenverwaltung sowie veraltete Personal- und Materialplanung, um nur die wichtigsten Stichworte zu nennen.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Problemfelder sollten aus meiner Sicht bei der bevorstehenden Überprüfung der Bundeswehrstruktur die Voraussetzungen für eine unverzichtbare Modernisierung der Streitkräfte geschaffen werden.
Das zurückliegende Jahr gehört für die Bundeswehr zu den ereignisreichsten in ihrer 55jährigen Geschichte. Zunächst der Aufwuchs des bisher größten Auslandseinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan mit einer Personalstärke von 4.500 Soldaten.
Eine sich permanent verschärfende Sicherheitslage, die gekennzeichnet war von stundenlangen schweren Gefechten mit den bereits erwähnten Opfern in den eigenen Reihen, aber ebenso auch geprägt war von getöteten afghanischen Zivilisten und terroristischen Gegner. Dann das bekannte Bombardement zweier Tanklastzüge bei Kunduz , in dessen Folge es zur Entlassung des Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan und des Staatssekretärs Dr. Peter Wichert, des Rücktritts des Bundesministers Dr. Franz-Josef Jung und der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kam. Nicht unerwähnt bleiben darf die von der Koalition beschlossene Reduzierung der Wehrpflichtdauer von neun auf sechs Monate. Alles in allem eine Reihe von zum Teil einschneidenden Ereignissen und Veränderungen, die natürlich nicht spurlos an den Soldaten vorüber gehen.
In meinem vorliegenden Bericht habe ich die wesentlichen Erkenntnisse aus den rund 5.700 Eingaben, aber vor allen auch aus meinen fast ausnahmslos unangemeldeten Truppenbesuchen in den Heimatstandorten und in den  Auslandseinsätzen aufgeführt.
Zusammenfassend will ich Folgendes feststellen:
1. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten trotz der bekannten Strukturprobleme und der seit vielen Jahren  bestehenden Unterfinanzierung einen großartigen Job. Gerade das ereignisreiche zurückliegende Jahr hat wieder einmal deutlich gemacht, wie belastbar die Soldaten sind. Fehlendes Material, strategische Fähigkeitslücken,
bürokratische Unsinnigkeiten, unzureichende Planungsvorgaben, Mängel in der Ausbildung und in der Einsatzvorbereitung sowie demotivierende Besoldungsund Beförderungsdefizite werden an der Basis vor allem kompensiert durch ein unglaubliches Improvisationstalent und durch kameradschaftliche gegenseitige Unterstützung. Dies gilt sowohl für Heimatstandorte wie auch für die Einsatzgebiete. Deshalb sage ich auch in meiner speziellen Verantwortung allen Soldatinnen und Soldaten in den Heimatstandorten und in den Auslandseinsätzen meinen tief empfundenen Dank für ihren aufopferungsvollen und großartigen Dienst.
2. Unabhängig von den bereits beschriebenen strukturellen Problemen in den Streitkräften sind zwei problematische Bereiche von herausragender Bedeutung. Zum einen handelt es sich um das Problem fehlender Hubschrauber und Transportflugzeuge. Durch die bekannten Verzögerungen in der Produktion und Auslieferung dieser neuen Systeme ergeben sich nicht nur negative Auswirkungen auf die Fähigkeitsprofile von Heer, Luftwaffe und Marine.
Die Verzögerungen führen auch zu signifikanten Problemen bei der Personalplanung mit Blick auf das vorhandene Fachpersonal, aber auch mit Blick auf die Rekrutierung künftigen Personals. Die Reduzierung von Flugstunden, die auch auf fehlende Haushaltsmittel zurückzuführen sind, sowie die Betriebsverlängerung alter Modelle führen zu erheblichen negativen Auswirkungen. Fehlende luftbewegliche Flugtransportkapazitäten erweisen sich teilstreitkraftübergreifend – gerade auch im Einsatz – als sehr negativ.
Der zweite Problembereich betrifft die Sanität. Ich habe in allen Berichten, die ich dem deutschen Parlament bisher vorlegte, immer wieder und in einer deutlichen Sprache auf die Defizite der Sanität insgesamt hingewiesen.
Die Situation hat sich trotzdem von Jahr zu Jahr verschlechtert. Deshalb komme ich nicht umhin, der Führung der Sanität, insbesondere dem verantwortlichen Inspekteur ein klares Versagen in seinem Verantwortungsbereich  vorzuwerfen. Es gibt nicht wenige Experten in der Bundeswehr, die ganz davon sprechen, dass dieser Inspekteur die Sanität „regelrecht vor die Wand gefahren“ habe. Ob es sich um die flächendeckende allgemeine sanitätsärztliche Versorgung der Bundeswehrangehörigen, um die Bundeswehrkrankenhäuser, um die Versorgung der posttraumatisch belasteten Soldatinnen und Soldaten oder um die Personalrekrutierung und die Personalführung handelt:
In allen Bereichen wurde viel zu spät gehandelt, wurden Entwicklungen regelrecht verschlafen und Probleme öffensichtlich bewusst schöngeredet. Erst durch massiven politischen Druck aus dem Verteidigungsausschuss wurden Initiativen entwickelt und sind jetzt endlich erste Lösungsansätze erkennbar.
Es bleibt nun zu hoffen, dass die reformwilligen Verantwortungsträger in der Sanität die erforderlichen Handlungsmöglichkeiten eingeräumt bekommen.

3. Die Attraktivität des Soldatenberufes war und ist auch weiterhin schweren Belastungen ausgesetzt. Insbesonderebei den Spezialverwendungen und bei den besonders belasteten Truppenteilen hat die Konkurrenzsituation mitdem zivilen Bereich zur wesentlichen Verschärfung der Personallage in der Bundeswehr beigetragen. Beispielhaft nenne ich die Sanitätsärzte, die Piloten und die Spezialkräfte. Hierbei ist es nicht nur die vergleichsweise unzureichende Bezahlung, die immer wieder zu Unmut und im ungünstigsten Fall zu hundertfachen Kündigungen führen. Es sind vor allem die Rahmenbedingungen, die den Soldatinnen und Soldaten das Leben schwer machen. Mir gegenüber nennen die Bundeswehrangehörigen in diesem Zusammenhang die überbordende Bürokratie, viel zu umständliche und unzeitgemäße Entscheidungsprozesse, fehlende Dienstleistungen, unzureichende Vereinbarkeit von Dienst und Familie sowie unflexible Laufbahn‐ und Beförderungsmöglichkeiten. Hinzu kommt die demografische Entwicklung, die für die Rekrutierung des notwendigen geeigneten Personals in den Streitkräften zusätzliche Probleme schafft.
4. Die innere Verfassung der Streitkräfte ist insgesamt betrachtet – ungeachtet immer wieder auftretenderEreignisse, wie jüngst im Zusammenhang mit nicht zu tolerierenden Ritualen – als vorbildlich und respektabel zubezeichnen. Die Prinzipien der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform sind auf allen Ebenen verinnerlichtund bilden das verlässliche Wertegerüst und das ethische Fundament des Denkens und Handelns in den Streitkräften.Diese grundsätzliche positive Bewertung beinhaltet jedoch die Notwendigkeit, auf den verschiedenen Führungsebenen sensibel darauf zu schauen, dass die Innere Führung im Truppenalltag jeden Tag neu mit Leben gefüllt werden muss. Die „Zentrale Dienstvorschrift 10, Schrägstrich 1“ ist zunächst einmal bedrucktes Papier. Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, inwieweit es gelingt, die Maxime „Führen durch Vorbild“ vom Generalinspekteur bis zum Zugführer umzusetzen. Voraussetzung hierfür ist, dass der jeweilige Vorgesetzte nicht nur über die richtige Grundeinstellung, sondern auch über die erforderliche Zeit verfügt, um sich intensiv um die ihm unterstellten Soldaten zu kümmern. Und in diesem Punkt klaffen Anspruch und Wirklichkeit nicht selten etwas auseinander.Führungsverantwortung heißt auch und nicht zuletzt Kritikfähigkeit. Ungeachtet der soldatischen Selbstverständlichkeiten im Zusammenhang mit Befehl und Gehorsam gehört der kritische Diskurs als Kernelementder Inneren Führung in alle Arbeits‐ und Lebensbereiche der Soldatinnen und Soldaten. Das betrifft nicht nur diesogenannte ebenengerechte Kommunikation, sondern auch das kameradschaftliche und menschliche Zusammenwirken zwischen den unterschiedlichen militärischen Hierarchien in unserer Bundeswehr.
5. Es vergeht kein Truppenbesuch, ohne dass mir gegenüber durch Soldatinnen und Soldaten eine allgemein zu geringe menschliche Empathie durch unsere Gesellschaft beklagt wird. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das immer wieder mit anderen Problemen vermengt oder verwechselt wird. Es geht bei diesem Punkt ausdrücklich nicht darum, sich mit den Auslandeinsätzen politisch zu identifizieren. Wenn die Soldaten mehr als ein „freundliches Desinteresse“ von ihren Mitbürgern erwarten, dann berufen sie sich meiner Auffassung nach auf eine Selbstverständlichkeit. Wer seine Gesundheit und sein Leben für sein Land einsetzt, wie es unsere Soldatinnen und Soldaten in allen Teilen dieser Welt tun, der darf das an menschlicher Zuwendung, an Aufmerksamkeit und Solidarität erwarten, was in vielen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist. Und weil es auch 61 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik immer noch nicht gelungen ist, den notwendigen breiten gesellschaftlichen Rückhalt für unsere Soldaten zu schaffen, ist es nach meiner festen Überzeugung notwendig, diese „menschliche Unterstützung durch die Gesellschaft“ zu organisieren. Und hier steht nicht nur die Politik in der Pflicht, sondern alle Organisationen und Institutionen in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft. Insbesondere die Eliten im Lande sind hier gefragt. Ich selber beziehe mich in diese Pflicht ausdrücklich mit ein.
Abschließend will ich mich ganz herzlich bedanken bei all denen, die mich bei meinen Aufgaben unterstützt haben. Und diesen Dank beziehe ich sowohl auf die politische und militärische Führung der Streitkräfte, auf alle Dienststellen, die mit meinem Amt besonders eng zusammen arbeiten sowie auf die Vertrauenspersonen in der Bundeswehr und auf die Militärseelsorge.
Selbstverständlich danke ich dem Deutschen Bundestag ‐ wenn man so will, meinem Auftraggeber ‐ und hier wiederum besonders dem Verteidigungsausschuss für das ausgezeichnete und vertrauensvolle Zusammenwirken. Mein Dank gilt auch Ihnen, meine Damen und Herren der Medien, für Ihr großes Interesse an meinen Aufgaben. Und nicht zuletzt danke ich meiner eigenen Mannschaft im Amt des Wehrbeauftragten. Ohne die tatkräftige und loyale Unterstützung könnte ich meine Arbeit nicht leisten.
Erlauben Sie mir zum Abschluss noch einige persönliche Worte. Ich bin vor bald fünf Jahren zum Wehrbeauftragten gewählt worden. Möglicherweise erschien ich damals manchem Abgeordneten, auch manchem damaligen Parteifreund als zu wenig links, zu nah bei einer eher konservativen Grundhaltung. Der ein oder andere Abgeordnete der damaligen Opposition kritisierte, dass ich als ehemaliger Zivildienstleistender keine Kompetenz in Sachen Bundeswehr beanspruchen dürfte. Wie auch immer man heute meine Arbeit der letzten fünf Jahre bewerten mag: Ich habe sie gerne getan, mit Freude und Überzeugung ‐ und heute kann ich sagen: Leidenschaft und Herzblut gehören dazu. Ich habe dabei im politischen Bereich über die Parteigrenzen hinweg, von den Streitkräften, aber auch von vielen Teilen der zivilen Gesellschaft positive Resonanz und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit erfahren, vor allem aber eines: echtes Interesse an meinen Aufgaben.
Dennoch habe ich mich nun nach reiflicher Überlegung und entgegen etlicher Anfragen und Bitten von verschiedenen Seiten entschieden, für das Amt des Wehrbeauftragten nicht wieder zu kandidieren. Denn gerade weil ich dieser  Aufgabe einen sehr hohen Stellenwert beimesse, kann und will ich das Amt durch mögliche zwischenparteiliche Streitereien nicht beschädigen. Sie werden verstehen, dass ich daher auch nicht kommentieren möchte, wie die Regelung meiner Nachfolge innerhalb der Koalition und insbesondere der FDP zustande gekommen ist.
Der Umgang mit dem Amt des Wehrbeauftragten verdient alle Ernsthaftigkeit und allen Respekt, und daher hoffe ich, dass der Inhaber dieses Amts angesichts der immensen Verantwortung unserer Soldatinnen und Soldaten gegenüber seiner Aufgabe mit aller Energie, aller Unnachgiebigkeit und allem Mut nachgehen kann, welcher Partei und welcher Couleur er künftig auch angehören mag.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit”

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