Heute wurde ich mit den Worten „Wahlergebnisse wie in der DDR“ begrüßt. Doch es gibt einen echten Unterschied. Der Spitzenkandidat wurde nicht verordnet. Torsten Albig hat sich im vergangenen Jahr in einem Mitgliederentscheid eindeutig gegen seine drei Mitbewerber durchgesetzt. Ralf Stegner, im Mitgliederentscheid noch in direkter Konkurrenz zu Torsten Albig, hat das Abstimmungsergebnis – sicher nicht ohne Bitternis – akzeptiert. Thorsten Albig wiederum hat seinen überzeugenden Sieg nicht ausgekostet und Ralf Stegner an die Seite gedrängt, worauf viele in der Partei insgeheim gehofft hatten. Stattdessen konnte sich Ralf Stegner auf seine Aufgabe als Fraktions- und Landesvorsitzender konzentrieren. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß seine Unterstützung für Torsten Albig vorgespielt ist, sie ist Ausdruck der Loyalität und der Disziplin. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, daß er damit auch zukünftig alle Optionen für Spitzenämter offen hält.
Das Ergebnis (ich habe 96% berichtet, die KN 97%. Die Unterschiede ergeben sich, weil ich die ungültigen Stimmen mit berücksichtigt habe, die KN nur Ja und Neinstimmen berücksichtigt) ist Ausdruck dafür, daß die Querelen um die Führungsposition Wesentlichen überwunden sind und die Partei wirklich geschlossen hinter ihrem Spitzenkandidaten steht.
Interessanter wird es bei der Betrachtung der Listenplätze. Die Listenplätze werden im Landesvorstand verteilt. Hierbei finden natürlich die in den Wahlbezirken gewählten Direktkandidaten besondere Berücksichtigung. Sofern sie in Wahlkreisen antreten, die traditionell durch den CDU Kandidaten gewonnen werden, müssen sie zusehen, daß sie einen der vorderen Listenplätze bekommen, um in den Landtag einzuziehen. Bei der Zusammenstellung sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen.
– Um eine angemessene Vertretung der Geschlechter zu gewährleisten, wird bei der SPD das „Reißverschlußverfahren“ umgesetzt, soll heißen, daß Männer und Frauen auf der Liste abwechseln.
– Darüber hinaus muß auch bedacht werden, daß aller Politikfelder mit fachlich kompetenten Bewerbern berücksichtigt werden müssen.
– Weiterhin müssen in der Liste auch alle Regionen angemessen berücksichtigen werden und nicht zuletzt ist auch darauf zu achten, daß
– ausreichend Nachwuchskräfte vertreten sind, um auch in Zukunft mit erfahrenen Bewerberinnen und Bewerbern antreten zu können.
Wenn die Liste erstellt ist, wir sie dem Parteirat vorgelegt, der in diesem Jahr mit großer Mehrheit zugestimmt hat. Diese Liste wird dann von den Delegierten der Landeswahlkonferenz beschlossen. Das Präsidium ruft vor den versammelten Delegierten jeden einzelnen Bewerber aus und fragt, ob jemand gegen diesen Vorschlag kandidieren will. Das ist durchaus möglich, für die vorderen Listenplätze aber vermutlich relativ aussichtslos. Dennoch, so hat Bernd Heinemann, der seinen Wahlbezirk Kiel Ost in der Regel direkt gewinnt, zu Gunsten zu Gunsten von Sabine Gilleßen auf seinen Listenplatz verzichtet. Und Marc Andre Ehlers mußte in der Abstimmung um seinen Listenplatz bangen, da Ralf Wrobel ebenfalls für diesen Platz antrat.
Die Abstimmungen sind geheim und geben die Gelegenheit, noch offene Rechnungen zu begleichen. Mit einer Ausnahme – und das war nicht Ralf Stegner – konnten alle Kandidaten über 80 % der Stimmen erreichen, viele kamen auch über 90 %. Auch das muß als Ausdruck der Geschlossenheit gewertet werden. Diese Geschlossenheit wird natürlich gestützt durch den Rückenwind, der sich in den Umfrageergebnissen widerspiegelt. Hier liegen SPD und CDU nahezu gleichauf. Da sich die FDP aller Voraussicht nach in die außerparlamentarische Opposition begeben wird und die Linken – wenn überhaupt – nur am Rande vorkommen werden, wird den Grünen nach jetziger Einschätzung die Rolle des Königmachers zufallen. Auch wenn dem einen oder anderen Spitzengrünen ein gutes persönliches Verhältnis zum Noch-Ministerpräsidenten nachgesagt wird, dürfte die Basis bei den Grünen doch eher CDU-fern sein. Damit besteht natürlich aller Grund zum Optimismus, und das spürt man ganz deutlich in der Aufbruchstimmung, von der auch die Presse berichtet.
Die Landesliste wurde durch die Delegierten der Landeswahlkonferenz bestimmt. Im Rahmen der gleichen Veranstaltung wurde auch der Außerordentliche Landesparteitag durchgeführt, der über das Programm zur Landtagswahl entschieden hat. Daher wechselte die Veranstaltung regelmäßig von Landeswahlkonferenz zu Außerordentlichem Landesparteitag und zurück. Das ist dem Umstand geschuldet, daß die Arbeitskeise der SPD mit eigenen Delegierten im außerordentlichen Landesparteitag vertreten sind, aber nicht in der Landeswahlkonferenz.
Nach der Erläuterung, wie es zur Landesliste kommt, vielleicht noch ein paar Worte zum Werdegang des Programms.
Das Programm für diese Wahl sollte kurz sein, damit es auch gelesen wird. Es sollte verständlich sein und nur Absichten enthalten, die nach der Wahl auch umgesetzt werden können, wobei jedem Klar sein muß, daß in Koalitionsverhandlungen immer Abstriche hinzunehmen sind. Daher darf es in seinen Aussagen auch nicht zu bestimmt sein, denn damit nimmt man sich später jeden Verhandlungsspielraum.
Ich habe nun nicht den vollständigen Verfahrensgang überblickt, aber Ende letzten Jahres ging uns der erste Entwurf zu, den ich ziemlich dünn fand. In einem Arbeitstreffen mit unserer Kandidatin Regina Pörsch wurden einzelne Aspekte des Programms erläutert und Änderungsvorschläge eingebracht. So wurde z.B. auf meine Anregung hin das Wort Religionen um den Zusatz „und Weltanschauungen“ ergänzt. Ich gebe zu, daß das nicht besonders programmatisch ist. (Ich halte es bei der wachsenden Betonung des Religiösen für wichtig, klar zu machen, daß es neben Religion noch andere Sichten der Welt gibt. Ca. 30% der Bevölkerung findet sich hier wieder), Es soll aber aufzeigen, daß man Einfluß nehmen kann, wenn man sich früh genug einbringt. Die unterschiedlichsten Parteigliederungen haben eine Vielzahl von Änderungen eingebracht. Es gab zusätzlich eine Online-Version zur Bearbeitung. Die Änderungsvorschläge wurden in drei Kategorien unterteilt und mit den Beschlussempfehlungen der Antragskommission ergänzt. Folgende Empfehlungen wurden gegeben:
– Streichung der Anträge, weil sie bereits im überarbeiteten Programm berücksichtigt wurden.
– Anträge, denen zugestimmt werden sollte,
– Anträge, die in anderen Gremien, etwas der Landtagsfraktion, weiter behandelt, aber nicht ins Programm aufgenommen werden sollen,
– Anträge, die zur Ablehnung empfohlen werden.
Diese Vorschläge werden in entsprechenden Listen zusammengefasst. Zu allen Anträgen waren Wortmeldungen möglich. Dies betraf in der Regel Anträge, die zur Ablehnung vorgeschlagen waren. Hier bekamen die Antragsteller Gelegenheit, den Antrag noch einmal zu begründen. So gab es zum Teil längere Aussprachen zu den Themen:
– kostenlosen Schülerbeförderung (letztendlich abgelehnt, weil nicht bezahlbar)
– kostenlosen Erststudium (die Streichung Erststudium und der Ersatz durch Studium wurde abgelehnt, da die hierfür aufzuwendenden Mittel eher in die Kindergärten und Kindertagesstätten investiert werden sollen)
– nicht konfessionsgebundener Religionsunterricht. Dieser Punkt war zur Ablehnung vorgeschlagen, wurde aber in das Programm aufgenommen.
In vielen Fällen folgten die Delegierten dem Vorschlag der Antragskommission, in etlichen Fällen schloss sich die Antragskommission der Argumentation des Antragstellers an, in einigen wenigen Fällen stimmten die Delegierten gegen die Empfehlung der Antragskommission. In einen einzigen Punkt – dem konfessionsungebundenen Religionsunterricht, haben sich die Delegierten auch über die Empfehlung des Spitzenkandidaten hinweggesetzt.
Das ganze erwähne ich eigentlich nur, um klar zu machen, daß der außerordentliche Landesparteitag keine reine Abnickveranstaltung ist. Einfluß nehmen lebt vom Mitmachen.
Sehr nett war auch der Parteiabend am Freitag. Zu aktueller Pop-Musik tummelten sich überwiegend jüngere Genossinnen und Genossen auf der Tanzfläche, während sich in den ruhigeren Bereichen noch Gesprächsgelegenheiten ergaben.
Der Samstag sollte eigentlich mit einer Rede von Sigmar Gabriel eröffnet werden. Da der Parteivorsitzende mit Fieber im Bett lag, hat Manuela Schwesig, stellvertretende Parteivorsitzende und Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales in Mecklenburg Vorpommern, diese Aufgabe übernommen. Sie konnte die Delegierten mit einer bewegenden und sehr engagierten Rede auf den heutigen Tag und den kommenden Wahlkampf einstimmen. Ich werde jetzt nicht im einzelnen auf ihre wirklich gute Rede eingehen.
Zu guter Letzt muß ich noch eingestehen, daß nach zwei Tagen und den Schlussworten das Wort Aufbruchstimmung eine ganz neue Bedeutung bekam. Um 1800 Uhr war ich wieder zu Hause.