Weniger. Älter. Bunter.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Fraktion vor Ort“ trugen Franz Müntefering am vergangenen Dienstag im Hotel Rosenheim in Schwentinental zu den Folgen des demographischen Wandels vor. Die Veranstaltung, an der auch Staatssekretäring Anette Langner teilnahm, stand unter dem Thema „Weniger, älter, Bunter – Regionen schrumpfen, Regionen wachsen.“
Nachfolgend sind die Informationen aus beiden Vorträgen zusammengefaßt.

Die Herausforderungen der Zukunft ergeben sich aus der Zahl und aus der Altersstruktur der Bevölkerung. Die aktuellen Trends lassen sich an wenigen Zahlen verdeutlichen.

Wir werden weniger. Heute gibt es ca. 81 Millionen Deutsche, im Jahr 2050 werden es nur noch zwischen 65 und 70 Millionen sein, und dabei ist eine jährliche Zuwanderung von 100 000 Personen bereits mit berücksichtigt. Aus einer anderen Quelle habe ich gehört, daß es in Deutschland frühestens im Jahr 2080 wieder zu einem Bevölkerungszuwachs kommen wird. „Kinder, die nicht geboren werden, bekommen keine Kinder.“ Seit Ende der 60ger Jahre ist die Sterberate höher als die Geburtenrate.
Dabei wird sich die Bevölkerungsentwicklung in den Regionen unterschiedlich vollziehen. Viele Metropolregionen wir Hamburg, Berlin, München, Dresden usw. werden weiter wachsen, während sich andere Städte, wie zum Beispiel viele Städte im Ruhrgebiet, mit Bevölkerungsrückgang konfrontiert sehen werden. Ähnliches gilt für ländliche Regionen. Einige werden weiterhin profitieren, andere werden einen Bevölkerungsrückgang hinzunehmen haben.
In Schleswig Holstein werden nur noch Kiel, das unmittelbare Kieler Umland, Flensburg und das Hamburger Umland, der so genannte Speckgürtel, mit Bevölkerungszuwächsen rechnen können.
Der Rest, dazu gehören auch die ländlichen Teile des Kreises Plön, wird Bevölkerung verlieren. Besonders deutlich zeichnet sich das bereits in Dithmarschen und dem Kreis Steinburg ab.

Wir werden immer älter. Im Jahr 1900 betrug das Durchschnittsalter 50 Jahre, heute beträgt es 82 Jahre, im Jahr 2030 wird es zwischen 85 und 90 Jahren liegen. Heute sind 4 Millionen Deutsche über 65 Jahre alt, im Jahr 2050 werden es 10 bis 12 Millionen sein. Heute leben ca. 7000 Hundertjährige in Deutschland, 2050 werden es 75000 sein.

Wir werden bunter. Die Familien werden kleiner, sie leben nicht mehr so häufig an einem Ort oder unter einem Dach zusammen. Mobilität, Migration und Integration spielen bei der Veränderung der Struktur von Familien und Lebensgemeinschaften ebenso eine Rolle wie der Einfluß individueller Lebensentwürfe und die veränderte Akzeptanz von Normen. Während noch Ende der 60ger Jahre argumentiert wurde, daß ein uneheliches Kind nicht Kanzler werden dürfe, kommen heute in den östlichen Bundesländern 48 % aller Neugeborenen aus nichtehelichen Beziehungen.

Franz Müntefering betonte, daß es eine politische Aufgabe ist, einen Gesellschaftsentwurf zu entwickeln, der die Folgen des demographischen Wandels berücksichtigt. Dabei nannte er drei Problemfelder:

Erstens: der Fach- und Arbeitskräftebedarf.
Bereits heute suchen Firmen geeignete Fachkräfte, in einigen Bereichen besteht ein regelrechter Mangel. Große Firmen sind in der Lage, über Personalentwicklungskonzepte Auszubildende an sich zu binden, etwa durch die Finanzierung eines Studiums mit der damit verbundenen Verpflichtung, im Anschluß an das Studium für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum für di Firma zu arbeiten. Kleinere Firmen – oder auch der öffentliche Dienst – haben diese Möglichkeit so nicht.

Zweitens: Die Arbeitsmarktstruktur
Ein wesentliches Problem ist die Erwerbsquote. Sie liegt in Skandinavien bei ca. 82%, in Deutschland hingegen nur bei 75%. Um die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme dauerhaft sicher zu stellen, muß die Erwerbsquote erhöht werden. Dabei sind zum einen Frauen zu berücksichtigen, vor allem gut ausgebildete Frauen, die häufig vor der Entscheidung zwischen Familie und Beruf stehen. Während nur 10% der Frauen des Jahrganges 1940 kinderlos blieben, waren es bereits 32 % des Jahrganges 1970. Neben der Abkehr von der klassischen „Hausfrauenehe“ haben Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen wichtigen Einfluß. So ist die Erwerbsquote von Frauen in Frankreich – wo entsprechende Maßnahmen umgesetzt sind – deutlich höher als in Deutschland.
Zur Erhöhung der Erwerbsquote ist es auch erforderlich, noch mehr Jugendliche in den Arbeitsprozess einzugliedern.
Und nicht zuletzt gilt es, die Beschäftigungsquote der Älteren anzuheben. So standen vor gut 10 Jahren gerade einmal 36% der 55-jährigen in einem Beschäftigungsverhältnis, heute sind es bereits 65%. Franz Müntefering betonte, dass die große Zeit der Frühverrentung vorbei ist und daß es sie nicht mehr geben wird. „Es geht nicht mit weniger Anstrengungen.“

Drittens: Nutzung des Potentials des Alters
Die Aussage zum Eingang: „So lange man klar im Kopf ist, trägt man Verantwortung für die Demokratie.“
Der Staat hat die Aufgabe, über die Sozialversicherungen die Existenzgrundlage der Menschen abzusichern. Darüber hinaus geht die Arbeit der „Sozialen Gesellschaft“. Sie muß organisiert sein, um zuverlässig zu funktionieren. Hier ist im Grunde genommen das ehrenamtliche Engagement der Älteren gefragt. Viele verfügen über Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie in den unterschiedlichsten Bereichen einbringen können. „Die Frage, wer Recht hat, hängt nicht vom Alter ab.“
Als besonderes Problem wurde die Einsamkeit benannt. Ca. ein Drittel aller Haushalte in Deutschland sind „Single“-Haushalte. Sehr häufig handelt es sich um ältere Frauen, die ihre Männer überleben, weil sie bei der Heirat jünger waren und eine höhere Lebenserwartung haben. Auch hier gibt es Beispiele aus der Praxis, wie der Vereinsamung entgegengewirkt werden kann.

Abschließend äußerte Franz Müntefering die Forderung, das Sterben nicht zu verdrängen. Das Leben hat seine Würde bis zum Tod, und damit sprach er sich ausdrücklich für die Förderung palliativer Hospizdienste aus.

Aus der dargestellten Entwicklung und den aufgezeigten Problemfeldern lassen sich für Kommunen drei Angebote ableiten, die Kommunen ihren Bürgern anbieten müssen, um auch künftig Erfolg zu haben:
– Wenn Ihr Kinder habt, wir haben die Betreuung
– In der Region gibt es Arbeit, die guten Lohn bringt
– Hier kann man gut alt werden.

Für Schleswig Holstein ergänzte Anette Langner noch, daß die Politikfelder Gesundheit, Verkehr, Gewerbe und Wohnen im Hinblick auf die zu erwartende Entwicklung aufeinander abgestimmt werden müssen. Problematisch sei aber die Übertragung dieser allgemein gültigen Erkenntnis auf die praktische Ebene. Statt eines koordinierten Vorgehens sind hier doch noch vielfach Konkurrenzkämpfe innerhalb der Regionen zu erkennen.

Sie verwies auch auf ganz konkrete Problemfelder und betonte, daß es in Zukunft schwierig sein wird, die ärztliche Versorgung in der Fläche sicherzustellen. Eine umfangreiche ärztliche Versorgung wird zukünftig nicht mehr bei den Menschen sein, die Menschen werden zur Gesundheitsversorgung transportiert werden müssen. Die Frage, die sich dazu stellt ist, wie man die Mobilität organisiert.

Anette Langner wies auch darauf hin, daß eine flächendeckende Pflege voraussichtlich nicht realisierbar ist und betonte den Grundsatz „Ambulant vor Stationär“.

Auf die anschließende Diskussion ging es um die Themen Rente mit 67 und um die Einführung eines dualen Ausbildungssystems auch für den Pflegebereich. Ich will hier jetzt aus Zeitgründen nicht näher darauf eingehen.

Franz Müntefering schloß sinngemäß: Die Mentalität „Billiglohn“ ist falsche. Es ist ein Irrglaube, wir könnten unser System mit Billiglöhnen finanzieren. Wir brauchen gute Arbeit, gute Löhne, gute Renten.

Ich werde das ganze jetzt erst einmal sacken lassen. Aber es wieder einmal beeindruckend, einen Politik-Profi hautnah zu erleben.

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