Der Mythos vom letzten Lied

Gestern hatte ich das große Vergnügen, im Schifffahrtsmuseum in Flensburg den Vortrag „Die Hochsee ist ein wildes Weib“ von Holger Janssen zu hören.

In einer Zusammenstellung von Liedern, Bildern und Textquellen setzte er sich in höchst unterhaltsamer Form mit dem Mythos des Schiffsunterganges und dem letzten Liedes auseinander.

Der Klassiker unter den Schiffsuntergängen ist natürlich der der Titanic, dazu aber später. Zuerst ging der Vortragende aber auf die Versenkung der Lusitania ein. Der britische Dampfer war 1915 auf dem Weg von Amerika nach England, als er südlich Irlands von Unterseeboot U 20 torpediert wurde. Das Schiff hatte neben vielen Passagieren auch Munition für den Kriegsteilnehmer Großbritannien geladen und wurde  damit zum legitimen militärischen Ziel. Während die Opfer der Versenkung, unter Ihnen 124 Amerikaner, auf US – Seite instrumentalisiert wurden, um Stimmung für einen Kriegseintritt der USA auf Seiten der Alliierten zu machen, wurde von deutscher Seite unterstellt, daß diese Opfer bewußt provoziert und in Kauf genommen wurden, um eben diesen Wandel der öffentlichen Meinung in den USA herbeizuführen. Zwei Jahre später traten die USA dann auch in den 1. Weltkrieg ein.
Später wird berichtet, daß die Bordkapelle als letztes Lied „It’s a long Way to Tipperary“ gespielt haben soll, ein englisches Soldatenlied, das in Irland nicht besonders beliebt und uns aus dem Film “Das Boot” bekant ist.

Zurück zur Titanic. Der Untergang des Ozeanriesen wird bis heute mystisch verklärt. Holger Janssen zog eine Parallele zu der Ballade „Trutz blanker Hans“ von David Liliencron über den Untergang der Stadt Rungholt, deren Einwohner sich überheblich gegenüber den Gewalten der Natur gezeigt hatten und dann von ebendiesen verschlungen wurden. Schon kurz nach dem Untergang des Luxusliners wurde das Bild einer feinen aber verworfenen Gesellschaft an Bord der Titanic entworfen, einer Gesellschaft, der keine der sieben Totsünden fremd war und die ihre gerechte Strafe für ihr gottloses Treiben erhielt. So wurde es zumindest in mehreren Gospelsongs besungen, die nach der Katastrophe die Runde machten. In Berichten von Überlebenden, die tatsächlich an Bord waren, und von Überlebenden, die das Glück hatten, die Katastrophe zu überleben, obwohl sie gar nicht an Bord waren, wurde später überliefert, daß die Kapelle als letztes Lied „Nearer my God to Thee“ (Näher mein Gott zu Dir) gespielt hätte. Sehr viel glaubwürdiger ist aber die Version, daß „Autumn“ das letzte Stück war.

Bei der Instrumentalisierung des Unglückes zu religiösen Zwecken wurde dann auch immer wieder das mittelalterliche Bild des Narrenschiffes oder des Totentanzes aufgegriffen,

Das Unglück der Titanic zieht sich bis heute durch Medienproduktionen. Hierzu wurde ein sehr befremdlich wirkendes Hörspiel einer Radioproduktion aus den Jahr 1927 angespielt. Der Kassenschlagers „Titanic“ mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet und dem Gassenhauer „My Heart will go on“ von Celine Dion als Titelsong wird den meisten noch in Erinnerung sein.

Nach dem Unglück der „Costa Concordia“ traten dann gleich zwei Schweizer auf den Plan, die behaupteten, das gerade dieses Lied das letzte gewesen sei, das während des Unterganges gespielt wurde.

Dazu gab es dann noch die gesächselte Version des „Alles klar auf der Costa Concordia“ in Anlehnung an uns Udos „Alles klar auf der Andrea Doria“, einem anderen gesunkenen Schiff.

Als weiteres Lied über einen Schiffsuntergang wurden noch Woody Guthry mit dem Lied “The Sinking of the Reuben James” genannt. Der Zerstörer was das erste amerikanische Kriegsschiff, das im Zweiten Weltkrieg versenkt wurde, durch ein deutsches Uboot, und zwar gut zwei Monate vor der deutschen Kriegserklärung an die USA.

Nicht zuletzt kam Gordon Lightfoot an die Reihe, der in seinem Lied „The Wreck of the Edmund Fitzgerald“ den Untergang dieses Schiffes im Jahr 1975 besingt. Der Schiffskoch soll kurz vor dem Untergang noch auf die Brücke gekommen sein und ein Zitat aus dem oben genannten Woody Guthry Song gebracht haben, womit der Bezug zu den wunderbaren letzten Liedern wieder hergestellt ist.
Zusätzlich kommt bei Lightfoot eine Methode zum Tragen, das auch für die Konstruktion von Verschwörungstheorien geeignet ist. Es werden eine Vielzahl von nachprüfbaren Fakten gesammelt und genannt, die dann mit einer fragwürdigen Aussage kombiniert werden. Durch den Zusammenhang mit den nachprüfbaren Fakten gewinnt die fragwürdige Aussage dann an Glaubwürdigkeit. Bei Gordon Lightfoot wird die fragwürdige Aussage durch das Übernatürliche in Form einer indianischen Hexengestalt ersetzt, womit der Schluß zum mystischen des letzten Liedes gezogen ist.

Eingerahmt wurde der Vortrag durch nette Döntjes aus Opa Janssens Leben, der mit 14 von zu Hause ausgebüxt ist, zur See fuhr, zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges in Rio war, bei seiner Rückkehr  nach Kiel wegen Fahnenflucht verhaftet wurde, das Mißverständnis aufklären konnte, wobei er drei Fahrkaren für die Straßenbahn in die Wiek bezahlte, eine für sich und zwei für die Militärpolizisten. Danach wurde er als Signalgast auf SMS Hessen eingesetzt und nahm an der Skagerrakschlacht teil. Dort wurde er Augen-und vor allem Ohrenzeuge der Versenkung der SMS Pommern, das dabei erlittene Knalltrauma war der Grund für seine nachfolgende Schwerhörigkeit. Später versah er seinen Dienst als Barkassenführer in Kiel, wo man ihm am 9. November 1918 zu guter Letzt die Barkasse geklaut hat.
Opa Janssen soll seinem Kaiser wohl alles verziehen haben, bis auf, daß er den Militärpolizisten die Fahrkarten bezahlen muße.

Wer die Gelegenheit hat, den Vortag von Holger Janssen an anderer Stelle zu erleben, sollte sich das Vergnügen nicht entgehen lassen.

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