Reise nach Transsilvanien

Mitte September hatte ich die Gelegenheit, nach Cluj-Napoca (Klausenburg) zu reisen. Dabei habe ich interessante Eindrücke sammeln können und mein Rumänien-Bild überdenken müssen.

Transsilvanien war für mich ein Begriff, den ich mit der Kulisse zu mehr oder weniger guten Filmen über den untoten Grafen Dracula oder den transsexuellen Frank n Further aus der Rocky Horror Pictur Show in Verbindung gebracht habe.
Dass Transsylvanien identisch mit Siebenbürgen ist, war mir bis dahin auch nicht klar. Mit Siebenbürgen verband ich bis dahin ein überwiegend deutsch besiedeltes Gebiet, aus dem die Siebenbürgensachsen als Folge des Zweiten Weltkrieges vertrieben wurden bzw. nach Zusammenbruch des Ostblockes nach Deutschland zurückgewandert sind..
Mit Rumänien habe ich bis dahin Kinderbanden sowie Roma und Sinti und völlig ungeordneten Verhältnissen und das ganze gepaart mit postsozialistischer Stagnation in Verbindung gebracht..

Was mir bis dahin nicht klar war ist, dass die Deutschen in Siebenbürgen auch in den letzten 150  Jahren immer eine nationale Minderheit waren. (1869 : 11,9% / 1941 : 9% / 1948 : 5,8% / 1992 : 1,2%, Quelle: Wikipedia). Sie sind heute eine annähernd so starke Gruppe wie die Roma (1,1 %).
Die größte Minderheit in Siebenbürgen besteht aus Ungarn mit einem Anteil von 21% an der Bevölkerung. In regional eingegrenzten Gebieten waren die nationalen Minderheiten jedoch die Mehrheit der lokalen Wohnbevölkerung.

Seit dem Mittelalter bis 1920 wurde Siebenbürgen im wesentlichen von Ungarn oder/oder Österreich beherrscht. Die zeitweise Herrschaft durch das osmanische Reich ist ebenfalls erwähnenswert. Die ursprügliche Ansiedlung von Deutschen und anderen Ausländern in Siebenbürgen erfolgte, um weitgehend unbewohnte Gebiete zu besiedeln und damit den Schutz ungarisch besiedelter Gebiete vor dem Einfall von Reiterhorden aus dem Osten zu verbessern. Später wurden die durch die Türkenkriege verwüsteten und teilweise entvölkerten Gebiete geziel wieder aufgesiedelt. Die Einwanderer wurden mit Boden versorgt und genossen weitgehende Autonomierechte einschließlich des Rechtes auf Glaubensfreiheit. Die politische Vertretung war, wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit üblich, ständisch organisiert. Als Gremium dienten die Landtage. Dem damals schon vorhandenen rumänischen Bevölkerungsteil wurden Mitspracherechte konsequent verweigert.

1867 kam es durch den ungarisch dominierten Landtag zur Aufhebund der Minderheiten- und Autonomierechte, Siebenbürgen wurde Bestandteil Ungarns und damit sauch Bestandteil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Die gezielte Ansiedelung von Ungarn sollte die Bedeutung des wachsenden Anteils an rumänischstämmiger Bevölkreung reduzieren.

Nach dem Ersten Weltkrieg wechselte die Herrschaft über Siebenbürgen an das Rumänische Königreich. Die bisherigen Eliten verloren ihre Vormachtstellung, der rumänische Zentralstaat begann mit der Ansiedlung von rumänischstämmigen Bürgerinnen und Bürgern, um den politischen Einfluß der Minderheiten weiter zu marginalisieren. Der Anteil der rumänischstämmigen Bevölkerung in Siebenbürgen wuchs von 57,2% im Jahr 1920 auf 75,3% im Jahr 1992. Das kann vermutlich als Ergebnis dieser Ansiedlungspolitik gewertet werden. Autonomierechte wurden seit 1920 mal mehr, mal weniger eingeräumt.

Die kurzzeitige Rückkehr von Teilen Siebenbürgens an Ungarn während des Zweiten Weltkrieges scheint eine eher bedeutungslose Episode gewesen zu sein.

Bereits bei meinem ersten Kontakt mit der Bevölkerung hatte ich den Eindruck, daß die Frage der Zugehörigkeit zur ungarischen oder rumänischen Bevölkerungsgruppe auch heute durchaus noch eine Rolle spielt. Eine schnelle Google-Recherche auf deutsch führt zuersteinmal zu Texten, die sich mit der Situation der deutschen Minderheit befassen. Nachfolgend die Verlinkung mit zwei Artikeln, die sich mit der Lage der ungarischen Minorität auseinandersetzen.

https://www.owep.de/artikel/429/verhaeltnis-zwischen-ungarn-und-rumaenien

http://www.welt.de/politik/ausland/article121872593/Aufruhr-unter-den-Ungarn-in-Rumaenien.html

Cluj-Napoca ist von Schleswig Holstein aus ca 1700 KM entfernt. Das bedeutet zwei Tage im Auto. Die Reise durch Tschechien und die Slowakei ist auf ausgebauten Autobahnen völlig problemlos, die Maut nervt allerdings, nicht nur, weil der Stop zum Kauf der Vignette das vorankommen bremst. In Ungarn – und später auch in Rumänien – ist ebenfalls Maut zu zahlen, die Überwachung erfolgt jedoch durch Kameras an der Straße, die die Nummernschilder identifizieren. Man soll sich auch online anmelden können. Wer allerdings wie ich ein Auto hat, dessen Kennzeichen einen Umlaut beinhaltet, wird vermutlich so viel Pech haben wie ich. Dankenswerterweise kann man auch direkt an der Grenze bezahlen und sich registriegen lassen, was gut funktioniert und zumindest nachts die Erinnerung an klassische Grenzübergangsstellen weckt, bis auf das die Grenzbeamten durch Verkäuferinnen ersetzt wurden, die deutlich freundlicher sind.

Hinter Budapest endet die Autobahn, aber die Straße bleibt gut ausgebaut. Dafür wird die Landschaft so öde, dass ich nicht weiter darüber berichten möchte. Zur rumänischen Grenze hin wird die Straßenverbindung zunehmend schechter, bleibt aber gut befahrbar.

Direkt hinter der Grenze wurde meine Erwartungshaltung zu rumänischen Verhältnissen erst einmal bestätigt. Ein nicht asphaltierter Platz mit einem Haufen Wechselstuben, von denen die meisten einen zweifelhaften Eindruck machen. Die Landeswährung in Rumänien ist der Lei, der in Deutschlant zwar erhältlich ist, aber nur zu schlechten Kursen bei hohen Gebühren. Selbst meine Hausbank hatte empfohlen, Geld an der Grenze zu tauschen. Für einen Euro gibt es, grob über den Daumen, 4,5 Lei.

Schon wenige Kilometer hinter der Grenze wandelt sich das Bild. Am Ortsrand von Oradea gibt es zwar noch einige wenige Industriebrachen, aber moderne Autohäuser und Einkaufszentrum prägen das Bild. Die Randbereiche mit ihren Plattenbauten machen keineswegs den Eindruck von prekären Wohngegenden. Der geordnete und unerwartet saubere Zustand ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass Wohnraum in Rumänien nach wie vor ein knappes Gut ist. Der massenhafte Wegzug der Besserverdienenden aus den Plattenbauten ist nach meiner Einschätzung aufgrund fehlender bezahlbarer Alternativen noch nicht erfolgt. Die schichtübergreifende Bewohnerstruktur sorgt offenbar für eine soziale Konrolle und Stabilität.

Auf dem weitern Weg nach Cluj-Napoca schlängelt sich die Hauptverbindungsstraße N1 durch die Kaparten. Die Straße bleibt gut ausgebaut, allerdings muß man gelegentlich schon ein bisschen aufpassen, nicht nur, weil auch mal ein Pferdegespann von links auf die Strasse schießen kann.
Das Wort „Umgehungsstraße“ scheint im rumänischen unbekannt zu sein. Der gesammte Transitverkehr schiebt sich durch die Dörfer und Städte, was die Durchschnittsgeschwindigkeit auf unter 50 km/h absenkt. Auffällig ist, dass auch die kleinen Höfe in einem guten Zustand sind. Darüber hinaus gibt es eine sehr kleinteilige Landwirtschaft, die ganz offenbar mit einem hohen personellen Aufwand betrieben wird. Große zusammenhängende Felder waren erst hinter Cluj-Napoca zu sehen.
Die Kaparten ähneln hier einem Mittelgebirge. Alpine Bereiche sind entlang der N1 nicht vorhanden. Dort, wo die Anhöhen bewaldet sind, hat die Gegend durchaus ihren Reiz. Allerdings sind große Flächen auch unbewaldet, so dass in den Bereichen eine eher langweilige Landschaft vorherrscht.

Bei der Einfahrt nach Cluj-Napoca bietet sich ein Bild wir in vielen anderen europäischen Städten. Die Besiedelung verdichtet sich, Einkaufszentren und Autohändler ziehen sich am Straßenrand entlang. Dann schließt sich der Ring mit Wohnbebauung, überwiegend Plattenbauten, an. Schließlich erreicht man in die Innenstadt.

Die Altstadt von Cluj-Napoca ist im Zweiten Weltkrieg offenbar von Kampfhandlungen weitgehend verschont geblieben. Damit ist relativ viel alte Bausubstand erhalten.
KuK-ArchitekturDie meisten Gebäude sind renoviert und befinden sich in einem guten Zustand. Einzelne Gebäude haben die Renovierung wohl noch vor sich. Ruinen und Zerfall gibt es aber nicht. Auch an der Infrastruktur wird gearbeitet. Immer wieder findet man Baustellen; Fußwege und Straßen werden repariert oder baulich aufgewertet.
Die Altstadt ist vom Baustil der KuK-Monarchie geprägt. Auf der einen Seite sehr charmant und verspielt, auf der anderen Seite monumental und im wahrsten Sinne des Wortes pompös.
theaterAuf dem Marktplatz ist der alte Dom beherrschend. Vor dem Dom das unvermeidbare Reiterdenkmal. Noch ein kleines Stück vor dem Reiterdenkmal von König Mattthias kann man durch eine Glasplatte römische Fundamente bewundern. Sie sind wenig spektakulär, verdeutichen aber, daß Cluj-Napoca  eine sehr lange und wechselhafte Geschichte hat. An der gegenüber des Domes liegenden Seite des Platzes befindet sich in der Fußgängerzone die Tourist Information für die Stadt. Die Tourist Information für die Region hat ihren Sitz im Ethnologischen Museum ganz in der Nähe.
Dom
Das mittelalterliche Geburtshaus von Matthias Corvinus, dem späteren ungarischen König Matthias,  steht in der Nähe des Marktplatzes. Hier gibt es den einzigen Platz, der an touristisch voll erschlossene Orte wie Bratislava oder Prag erinnert, wo sich Amerikaner, Engländer, Japaner, Deutsche, Österreicher, Chinesen und der Rest der Welt gegenseitig auf die Füße treten.
Ansonsten – und das ist sehr angenehm – gehört die Innenstadt den Einheimischen und den Studenten; und den Autos. Die Straßen sind voll, die Parkplätze knapp. Busse und Straßenbahnen fahren, müssen sich aber den Raum mit den Autos teilen. Entsprechend zäh fließt der Verkehr am Morgen oder zur Feierabendzeit. Fahrräder sind eine Ausnahme und wirkliche Überlebenschancen haben vermutlich nur echte Kampfradler.

Sehr schön ist auch ein Besuch im Zentralpark. Das moderne Fußballstadion ist durchaus gelungen, das alte Casion ein echtes Juwel. Der Park wird tagsüber von einem gemischten Publikum genutzt. Einheimische, Mütter mit Kindern, Alte sowie Studentinnen und Studenten bevölkern die Wege und Wiesen. Die hohen Bäume sorgten für angenehmen Schatten, denn rotz der fortgeschrittenen Jahreszeit lagen die Temperaturen Mitte September bei über 30 Grad.
casinoDer Museumsplatz lohnt ebenfalls einen Abstecher. Er ist autofrei und die hohen Bäume sowie die nette Bebauung und die Außengastronomie sorgen für eine hohe Aufenthaltsqualtät.
MuseumsplatzDas an diesem Platz gele am Platz Piata Muzeului gelegene Museum für transsilvanische Geschichte hatte wegen Renovierungsarbeiten leider geschlossen. In der Str. Memorandumului Nr. 21 ist das Ethnologische Museum beheimatet, dessen Ausstellung die Besucher und Besucherinnen mit einer Ausstellung über traditionelles Handwerk und alten Trachten informiert.

In der näheren Umgebung von Cluj-Napoca liegt Turda, das mit zwei Ausflugszielen durchaus einen Besuch wert ist. Etwas östlich der Stadt liegen die Salinen, etwas westlich lohnt die Schlucht Chiele Turzii den Besuch.

Die Salinen sind auf jeden Fall sehenswert. Es empfiehlt sich, einen Pullover mitzunehmen, denn die Tempeartur in dem ehemaligen Salzbergwerk liegt durchgehend bei 10 – 12 Grad. Das Salzbergwerk wird erstmals 1271 urkundlich erwähnt, er wurde 1930 wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt. In der Zwischenzeit entstanden gewaltige Kavernen. Die Muster im Fels sind sehr schön anzusehen. Auch die alten Geräte, die im Original noch vor Ort zu sehen sind, lohnen schon den Besuch. Die Überraschung wartet auf den unvorbereiteten Besucher, wenn er in die Kavernen tritt. Nicht nur, daß die Räume mit einer Höhe von 154 Metern gewaltige Ausmaße haben, am Grund befindet sich ein Vergnügungspark mit Billard, Minigolf und einem Riesenrad.
Turda-RiesenradObwohl erst 1992 eingerichtet, erinnert das ganze an ein Ensemble aus sozialistischer Zeit, ebenso wie der kleine See in der Terezia Kaverne, auf dem man mit kleinen Ruderbooten eine Runde um die Insel drehen kann. Absolut futuristisch ist der Panoramalift, der von der Decke auf den Boden der Kaverne führt und die Bebauung auf der Insel im Kavernensee. Mich würde es nicht wundern, wenn die Bergwerksanlage  als Kulisse für einen der nächsten James-Bond-Filme genutzt wird.
Turda_seeEin anderes Ausflugsziel ist die Chiele Turzii Schlucht, die seit 1938 als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist. Hier befindet sich auf 1,5 km eine Schlucht, die alpinen Charakter aufweist. Im Fluß tummeln sich Forellen und aus dem Wald ragen die Felsen bis zu 250 Meter steil hinauf. Der Wanderweg ist zu Beginn gut ausgebaut und führt über mehrere Hängebrücken in die Schlucht hinein, er wird aber zusehens schmaler und schwieriger zu begehen. Die Schlucht ist auch Zeil für Kletterer, für die mehrere Routen geschraubt sind. Leider sieht es so aus , daß die Besucherinnen und Besucher im  Naturschutzgebiet scheinbar kein Problem damit zu haben, ihren Müll zu hinterlassen.
chieleDa ich nur drei Tage vor Ort war, fällt es schwer, ausführlich über das kulturelle Angebot zu berichten. Dazu kommt natürlich, daß ich die Sprachbarriere nicht überwunden und für  Mottoparties, die das Transsylvanien der Achtziger Jahre zum Thema haben, nicht die richtigen Klamotten im Handgepäck hatte. Daher fiel die Wahl für das Abendprogramm auf den Club „Flying Circus“, in dem die ungarische Trash Metal Band „Moby Dick“ auftrat.
2015-09-16_22-18-06_826Die Band ist in ihrem Heimatland eine Legende, weil sie in den achtziger Jahren weder in Sachen Musik noch in Sachen Ideologie auf der offiziellen staatlichen Linie lag. Durch die mehr oder weniger offen geäußerte Systemkritik schrammelte die Gruppe in Ungarn am Randes des Verbots entlang.
In Siebenbürgen genoß die Band Teilen der ungarischstämmigen Jugend ebenfalls eine große Popularität. Die systemkritischen und auf Ungarisch gesungenen Texte sowie die Musik an sich wichen natürlich auch von der offiziellen Linie der rumänischen Kulturpolitik ab. Sie bot der ungarischstämmigen Jugend die Möglichkeit der gemeinsame Identifikations durch Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft..
Eine ausführliche Abhandlung über die Thematik läßt sich unter diesem Link nachlesen:

http://www.academia.edu/8183153/Protest_Provokation_und_Peer-Group-Bildung._Heavy_Metal_in_Ungarn_und_seine_Rezeption_in_Siebenb%C3%BCrgen_in_den_1980er_Jahren

Es war ein zweifelhaftes Vergnügen, die lärmende Legende live zu erleben. Trash Metal ist nicht wirklich meine Musik, auch wenn der Gitarrist durchaus gute Soli hinlegte. Noch weniger begeisterte mich die Art und Weise, mit welcher Brutalität er einen – zugegebenermaßen nervigen – betrunkenen Jugendlichen von der Bühne stieß, als der von dort aus zum „Stagediven“ ansetzen wollte.
Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass ein kleiner Teil des Publikums rechtsoffen bzw. nationalistisch eingestellt war. Das Tragen von Glatzen, Springerstiefel und das Pogen mit nacktem Oberkörper ist für sich allein genommen nicht zwingend typisch für Rechtsextremisten. In der Kombination ist es das allerdings schon eher. Vor allem aber sah der Besucher mit dem „Commando 18“ T-Shirt so aus, als wüßte er, das es sich dabei um die englische Schreibweise einer deutschen Neonazi-Band handelt.
Ich bin aber weit davon erntfernt, meinen Eindruck in irgendeiner Form verallgemeinern zu wollen.

Sobald ich ein wieder ein wenig Zeit zum Lesen habe, werde ich mich bemühen, ein paar fundierte Informationen zur Minderheitensituation in Siebenbürgen zu bekommen.
Auf jeden Fall ist Cluj Napoca ein interessantes Reiseziel, nur, weil es auch die Europäische Jugendhauptstadt 2015 ist.