Gestern war ich auf einer Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung. Im Metro-Kino in Kiel wurde der Film „Unten – im Ortsverein“ gezeigt. Der Regisseur des Filmes ist Jan-Christoph Schultchen. Er hat früher Image-Filme für große Firmen produziert. Mit dem Film „Unten – im Ortsverein“ hat Herr Schultchen einen Dokumentarfilm gedreht. Er begleitete die Parteiarbeit des Hamburger Ortsvereins Bergedorf über einen längeren Zeitraum. Herausgekommen ist ein durchaus sehenswerter Film. Er zeigt Leute wie Du und ich und läßt sie zu Wort kommen. Herr Schultchen begegnet den Menschen sehr emphatisch, ja geradezu liebevoll. Er zeigt die Realität der politischen Arbeit an der Basis und im Wahlkampf in einer sehr realistischen Art, auch die Darstellung vielleicht ein wenig zu Juso-lastig ist. Am Ende fand ich den Film aber doch ein wenig zu lang. Es ist auf jeden Fall kein Werbefilm. Ich glaube nicht, dass irgendjemand nach dem Film losgeht, um in eine Partei einzutreten. Er erinnerte mich ein wenig an den Streifen aus dem Jahr 2003: „Herr Wichmann von der CDU“, in dem ein CDU Bundestagskandidat durch den Wahlkampf begleitet wurde.
Im Anschluss an den Film gab es eine Diskussion mit der SPD Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzenden und stellvertretenden Bundesvorsitzenden Serpil Midyatli, Herrn Wilhelm Knielangen, Professor für Politikwissenschaften an der UNI Kiel und Louisa Galli (17) aktives Mitglied des „Jungen Rates“ (vergleichbar mit dem Plöner Kinder- und Jugendrat) und Aktivistin für Feminismus und die Rechte von Kindern und Jugendlichen.
Ich habe mir während des Filmes und der Diskussion einige Notizen auf dem Handy gemacht und versuche, sie einmal im Zusammenhang wiederzugeben.
Zwei Kernaussagen vorweg:
Der Regisseur sagte in etwa, dass man für Politik einen langen Atem bräuchte.
Ein junger Mann äußerte im Film, dass die Politik nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit abbilden würde, als es um die beiden JUSO-Vorsitzenden ging; beide würden Jura studieren. Später meinte er noch, dass die Mitfahrer morgens in der S-Bahn nicht der Zusammensetzung der Bezirksversammlung entsprechen würde.
Professor Knielangen betonte, dass den Parteien in unserer Parteiendemokratie eine wichtige Funktion zukommt. (Anm.: Artikel 21 des Grundgesetzes: „Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit“.)
Das Statut der SPD besagt, dass sich die politische Willensbildung der Partei in den Ortsvereinen, Unterbezirken und Bezirken und von unten nach oben vollzieht.
Professor Knielangen will ein wenig an dieser Aussage kratzen und bezeichnet diesen Anspruch als „nur halbrichtig“. Nach seiner Beobachtung würden sehr viele Entscheidungen in kleinen Führungszirkeln ohne vorherige Mitsprache der Basis getroffen. In dem Zusammenhang nannte er auch den Koalitionsvertrag.
Aus dem Publikum kam der Zwischenruf, dass die Mitglieder darüber abgestimmt hätten. Das ist nach meiner Auffassung zwar richtig, aber es ging um ein ja oder nein, nicht um Inhalte. Darum kann ich Herrn Professor Knielangen hier eher folgen.
Frau Midyatli erläuterte dann an einem Beispiel, wie eine Initiative es von ganz unten nach obern gebracht hat (Ich hab leider vergessen, um was es ging). Ferner führte Sie aus, dass ja auch die Kandidatinnen und Kandidaten für Gemeinderäte, Ratsversammlungen, Kreis- und Landtage und auch die Bundestagswahl von den Ortsvereinen ausgehend und dann von den darüber liegenden Gremien gewählt werden. Also von unten nach oben. Damit hat Sie Recht, aber das ist bei den anderen Parteien wohl auch so und kein Alleinstellungsmerkmal der SPD. Dabei geht es auch nur bedingt um Inhalte.
Professor Knielangen sprach auch davon, dass dieser Film die Tristesse der Parteiarbeit vor Ort zeigen würde. Er betonte gleichzeitig, wie wichtig die Parteistrukturen vor Ort sind. Dabei bezog er sich weniger auf die Willensbildung – siehe oben – , sondern auf die Organisation und die Logistik für die Durchführung von Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und Wahlkämpfen.
Das wurde auch im Film betont. Da wurde beispielhaft angeführt, dass vielfältige Initiativen auf die Strukturen der SPD zurückgreifen können, wenn es zum Beispiel um Veranstaltungen von Bündnissen gegen Rechts ginge. Hier wurde Besonders auf die Funktion der JUSOS als Bindeglied zwischen einzelnen gesellschaftlichen Gruppen hingewiesen.
Frau Midyatli betonte ergänzend zur strukturellen Funktion auch den Zusammenhalt, den man in der Gemeinschaft im Ortsverein erleben kann. Damit hat sie nach meiner Erfahrung auch ein Stück weit recht.
Frau Galli äußerte sich dahingehend, dass Sie eher nicht in eine Partei eintreten würde. Heute könne jede*r ein „Sender“ sein. Als Vertreterin der „Zivilgesellschaft“ bräuchte Sie nicht auf Gesetze zu warten, sie könne handeln. Zitat: „Ich wirke“.
Sie betonte, sie stände für sich selbst und nicht für Olaf Scholz.
Dem widersprach Professor Knielangen, indem er betonte, dass es nicht darum ginge, die eigenen Interessen zu verfolgen. Das wiederum würde ich Frau Galli eher nicht vorwerfen, da sie schon klar erkennbar für die Belange von unterschiedlichen Gruppen eintritt, auch wenn sie denen zum Teil selber angehört. In dem Zusammenhang fiel auch der Begriff „politischer EGO-Shooter“, auch wenn er nach meiner Meinung in diesem Fall nicht unbedingt zutrifft.
Interessant fand ich auch Antwort auf die Frage, ob in den Parteien zu wenig gestritten wird. Die Antwort von Professor Knielangen darauf war: „Ja“ und er begründete das damit, dass die Presse aus jeder Diskussion gleich eine Koalitionskrise machen würde. Dementsprechend würden sich alle bei den Diskussionen zurückhalten.
Frau Midylatli äußerte sich zum Spagat zwischen der Regierungsarbeit und der Außendarstellung der SPD. Die Partei würde sich selbstverständlich an den Koalitionsvertrag halten, aber darüber soll man auch nicht vergessen, die Positionen, für die die SPD steht und die nicht in den Koalitionsvertrag eingeflossen sind, weiter zu vertreten.
Sie äußerte sich sinngemäß auch skeptisch, ob man sich nach jeder verlorenen Wahl mit einer Überarbeitung des Grundsatzprogrammes zur Selbstvergewisserung einen Gefallen tut.
Zu den Grundproblemen der Gesellschaft würde die wachsenden Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich gehören. Über die Folgen und daraus abzuleitende Maßnahmen muss man reden.
Langer Erlebnisbericht, kurzer Sinn: Der Begriff Mythos hat viele Bedeutungen. In der Überschrift verwende ich ihn im Sinne von einer Erzählung, die einen wahren Kern hat. Außerdem weckt er Erinnerungen an einen Beitrag den ich mal im Jahr 2013 geschrieben habe, auch wenn er mit dem Thema so gar nichts zu tuen hat:
http://www.ingo-buth.de/2013/03/13/der-mythos-vom-letzten-lied/