Ich bin nicht Gilde

„Plön ist Gilde, Gilde ist Plön“, habe ich vor einiger Zeit gehört oder gelesen. Da ich mich ungern vereinnahmen lasse möchte ich kurz anmerken, daß „ich vielleicht Plön bin“, aber mit Sicherheit bin ich nicht Gilde.

Der erste Nachweis der Gilde ist – auch wenn sie vermutlich älter ist – eine Gravur auf dem Silberschild, das der Vogel, der am Königsschild hängt, im Schnabel trägt. Sie verweist auf das Jahr 1621. Daher feiert die Gilde in diesem Jahr ihr 400-jähriges Bestehen.

Das ist in der Tat ein bemerkenswertes Ereignis, denn es gibt wohl nur wenige Vereine, die auf eine 400 jährige Geschichte zurückblicken können. Ich kann daher gut verstehen, daß die Gilde dieses Jubiläum feiert und ich möchte dazu auch gratulieren.

Ich nehme das  zum Anlaß, mich auch einmal kritisch mit der Gilde auseinander zu setzen. 

Anläßlich dieses Jubiläums habe ich das Buch „Friede – Freude – Eintracht, Geschichte der Plöner Schützengilde von 1621 e.V.“ erworben. Zusammengetragen wurde es von Jochen Storjohann, erschienen ist es 1996 in der Edition Barkau. Ich habe es mit großem Interesse gelesen.

An dieser Stelle möchte ich jetzt nicht die gesamte Gildegeschichte wiederkäuen, sondern mich auf einige Aspekte der jüngeren Geschichte beschränken. Als Quelle beziehe ich mich lediglich auf das oben genannte Buch.

Die Gilde befand sich schon in den zwanziger Jahren in dem Spagat zwischen Fortschritt und Rückwärtsorientierung. 1922 wurde den Mitgliedern empfohlen, anläßlich des Gildefestes die Schwarz-Weiß-Rote Flagge zu hissen. Das ist die Flagge des 1918 nicht besonders rühmlich untergegangenen Kaiserreiches. Die Flagge der Weimarer Republik und seiner demokratisch verfassten Gesellschaftsordnung war Schwarz-Rot-Gold. Das ist die Flagge, die ihren Ursprung in den Befreiungskriegen gegen Napoleon hat und die beim Hambacher Fest getragen wurde, einem der elementaren Ereignisse für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland. Sie ist heute unsere Staatsflagge.
Der damalige Landrat hat die Ältermänner zu sich zitiert. Der Landrat hat „sich gegen die Abhaltung des Festes als auch die Aufhängung der Fahnen in den alten Reichsfarben““ ausgesprochen. „Die Gilde hat das Fest dann dennoch abgehalten, allerdings wurden die alten Fahnen durch Girlanden ersetzt, aber nicht „aus Feigheit“, wie Ältermann Blohm in seinem Gildebericht schrieb.“

Für mich legt diese Episode die Annahme nahe, daß die der Mehrheit der Gildebrüder seinerzeit der Weimarer Republik ablehnend gegenüberstanden. Es würde auch eher der Stimmungslage der nationalkonservativen Kreise entsprechen, auf eine Wiedereinführung eines monarchistischen Systems hinzuwirken. Es darf nicht vergessen werden, daß die letzten Kriegsjahre und die vier Jahre nach Kriegsende von wirtschaftlicher Not und politischer Unsicherheit geprägt waren. Der Wunsch insbesondere  bürgerlicher Kreise nach Stabilität und Wohlstand der Vorkriegszeit ist nachvollziehbar, läßt aber die demokratischen Defizite und sozialen Probleme der „Kaiserzeit“ außer Acht.

Meine Hypothese, daß sich die Gilde seinerzeit aus überwiegend nationalkonservativem Klientel zusammensetzt, wird durch die Ereignisse 11 Jahre später gestützt. Die Gilde ist zu dem Zeitpunkt offenbar zutiefst gespalten. Die Nationalsozialisten versuchen, die Gilde gleichzuschalten. Die nationalkonservativ orientierten Mitglieder der Gilde zogen sich offenbar aus dem Gildeleben zurück. So zumindest deute ich die Schilderungen in dem oben genannte Buch. Im Jahr 1934 erschienen nur noch 26 Mitglieder zur Generalversammlung der Gilde. Im Jahr 1925 war die Beteiligung mit 17 Mitgliedern noch geringer. 1938 weigern sich die Mitglieder der Gilde, für ihren Umzug die Uniform des (nationalsozialistischen) Deutschen Schützenbundes zu tragen. Aus diesem Grund wurde in der Einladung darauf hingewiesen, „daß der Anzug nicht wie bisher getragen werden sollte, „sondern Straßenanzug und als einheitliche Kopfbedeckung Schützenhut mit blau-weißer Kokarde““. Allerdings wird für mich nicht deutlich, ob diese Form des Widerstandes aus der Ablehnung des Nationalsozialismus als Unrechtssystem beruht oder sich lediglich gegen die Umwälzungen wendet, weil  entsprechend der neuen Vorgabe ein “Fest als wahre Volksgemeinschaft“ und nicht mehr das Gildefest „in althergebrachter Weise“ gefeiert werden sollte.
Die Abneigung der nationalkonservativen Kreise gegen die Bewegung des „böhmischen“ bzw. „österreichischen Gefreiten, wie Reichspräsident Hindenburg Hitler bezeichnet haben soll, ist jedenfalls bekannt.
Die Verwerfungen zwischen nationalkonservativen und nationalsozialistischen Strömungen in der Gilde fanden wohl 1939 ihren Höhepunkt. Der damalige NSDAP Bürgermeister Dostal trat aus der Gilde aus und ermahnte die Mitglieder in einem Schreiben, daß Sorge zu tragen sei, daß „die Mitglieder der Gilde nicht im betrunkenen Zustand hinter der Hakenkreuzfahne hermarschieren. Nach den bisherigen Erfahrungen sei eine solche Gewähr nicht gegeben.“

Damit will ich vor allem deutlich machen, daß es in Organisationen oder Vereinigungen Beharrungskräfte und Kontinuität gibt, die Jahrzehnte und politische Systeme überdauern können. Andererseits unterliegen auch Weltanschauungen dem stetigen gesellschaftlichen Wandel.

Im November 1948 trafen sich dann, drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, 23 Mitglieder zur Generalversammlung und nahmen das offizielle Gildeleben wieder auf.

Zumindest in den Sechziger Jahren bis hin in die Mitte der Siebziger Jahre waren die Schützenfeste große gesellschaftliche Ereignisse mit einer deutlich erkennbaren Beteiligung der Bevölkerung. Wer sich ein Bild davon machen will, sollte einmal versuchen, die Folge „Schützenfest“ aus der Serie Kleinstadtbahnhof von 1972 zu sehen.

In den letzten Jahren hat die Gilde dann aber doch an gesellschaftlicher bzw. gesellschaftspolitischer Bedeutung verloren. Sie ist zwar vorhanden und macht großflächig auf sich aufmerksam, aber die Beteiligung der Plöner*innen an Veranstaltungen der Gilde hat doch stark nachgelassen, zumindest im Vergleich zu den sechziger/siebziger Jahren.
Es wäre nebenbei mal interessant prozentual aufzuschlüsseln, wie viele Angehörige der Ratsversammlung früher Mitglied waren und wie viele es heute sind.

Obwohl auch heute viele Plöner, die Rang und Namen haben, Mitglied in der Gilde sind, muß sich die Gilde die Frage stellen lassen, ob sie mit Ihrer Form der Traditionspflege nicht ein wenig aus der Zeit  fällt. Schaut man sich die Bilder auf ihren Plakaten an, die mit „Gilde hat Gesicht“ betitelt sind, sieht man dort ausschließlich die Gesichter überwiegend älterer und ausschließlich weißer Männer. Sie stellen damit keinen repräsentativen Durchschnitt durch die Bevölkerung dar und kann allein von daher nicht Plön sein.

Der redaktionelle Teil des oben genannten Buches endet auf Seite 135 mit der Aussage: „… in der Gilde sitzen … „Bürgermeister und Postbote nebeneinander.“ Daß dort laut Statuten immer noch keine Postbotin sitzen darf, ist eine Eigenart, die die Gilde sicherlich nicht so schnell ändern wird.“
Das ist auch heute – 25 Jahre später – immer noch so.

Die Gilde grenzt auch heute noch über ihre Staturen die Hälfte unserer Bevölkerung aus. Die Statuten widersprechen vom Grundsatz her auch dem Artikel 3 Absatz 2 und 3 des Grundgesetzes.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, … benachteiligt werden.

Ich will hier auch nicht auf juristische Feinheiten eingehen, aber daraus die Aussage abzuleiten, die Gilde sei verfassungswidrig, ist definitiv falsch. Andererseits setzt sie Grundsätze unserer Verfassung nicht um. Das ist meines Erachtens auch mit dem Verweis auf die Traditionspflege nicht wirklich zu rechtfertigen, denn es gibt durchaus auch überkommene Traditionen, an denen man nicht festhalten sollte. Das Festhalten an einem rollenspezifischen Frauenbild gehört für mich dazu.

Ich lasse aber auch den Vergleich der Gilde mit einem Mädelsabend, zu dem auch keine Männer zugelassen sind, nicht zu. Ein Mädelsabend nimmt keine gesellschaftliche Rolle für sich in Anspruch, ist nicht in einem Verein organisiert und marschiert nicht mit mit Bumsvallera und in Uniform durch die Stadt.

Ich spanne jetzt mal den Bogen in das Jahr 1922 zurück. Für mich ist das Festhalten an den „Reichsfarben“ damals vergleichbar mit dem Festhalten an der Ausgrenzung der Frauen heute. Der gesellschaftliche Wandel ist an der Gilde vorbeigegangen. Solche Statuten sind für mich rückwärtsgewandt. Das 400 jährige Jubiläum hätte eine Gelegenheit sein können, eine Entwicklung nachzuholen, die in der Gesellschaft seit langem eine allgemein anerkannte Realität ist.

Daher verstehe ich auch nicht, daß der Bürgermeister angeordnet hat, die Gildeflaggen an allen sechs Flaggenmasten auf dem Platz vor dem Bürgerbüro zu setzen. Vielleicht ist es eine Reaktion darauf, daß wir 2000,- € für ein repräsentatives Geschenk der Stadt für die Gilde aus dem Haushalt der Stadt gestrichen haben. Wenn ich das richtig sehe, dann hängen die Flaggen dort schon seit zwei Wochen oder länger. An diese Flaggenmasten gehören für mich die Flaggen Europas, Deutschlands, Schleswig Holsteins sowie die der Städte Plön und Plau. Der letzte Mast stände dann zur Verfügung, im Wechsel die Flaggen der benachbarten Bundesländer, unseres nördlichen Nachbarn Dänemark oder vielleicht auch einmal die Regenbogenflagge zu tragen. Letztere um deutlich zu machen, daß Plön eine zukunftsorientierte und weltoffene Stadt ist. Und für die Zeit des Gildefestes wäre die Gildefahne dann auch in Ordnung.

In diesem Sinne und trotz alledem wünsche ich der Gilde und ihren Gästen ein fröhliches Beisammensein und ein schönes Jubiläumsfest. 

Gleichzeitig Ich bin aber auch gespannt, wann die erste richtige Schützenkönigin in ihr Amt eingeführt wird.