Zu Beginn der heutigen Sitzung des Hauptausschusses habe ich ein paar Worte zum Internationalen Frauentag gesagt. Natürlich habe ich mich als Mann gefragt, ob ich prädestiniert dafür bin, zum Internationalen Frauentag zu sprechen. Aber bereits der Umstand, daß ich mir abhängig von meinem Geschlecht diese Frage stellen muß, zeigt, dass die Gleichberechtigung trotz aller Fortschritte in den letzen 100 Jahren immer noch nicht vollständig erreicht ist, auch bei uns nicht.
Um einen Eklat zu vermeiden habe ich im Vorfeld die Bürgervorsteherin und die Frauenbeauftragte sowie die Fraktionsvorstände gefragt, ob es in Ordnung ist, heute zu dem Thema zu sprechen.
Meine Damen und Herren, der heutige Internationale Frauentag ist nicht die Fortsetzung des Muttertages mit anderen Mitteln.
Er geht zurück auf die Initiative von sozialistischen Organisationen vor den Ersten Weltkrieg und wurde erstmals am 19. März 1911 in Deutschland, Österreich-Ungarn, der Schweiz und Dänemark begangen. Vorrangiges Ziel der Initiative war die Erlangung des Frauenwahlrechtes.
Dieses Recht ist heute bei uns selbstverständlich und sie stimmen mir bestimmt zu, daß es von keinem ernsthaft in Frage gestellt wird.
Das Frauenwahlrecht wurde in Deutschland im Rahmen der Novemberrevolution 1918 eingeführt.
Während der Weimarer Republik gab es zwei Frauentage, den kommunistischen am 8. März und den sozialdemokratischen, der an kein festes Datum gebunden war.
Die Kernforderungen in der Zeit waren:
– Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnabschläge
– Senkung der Lebensmittelpreise
– Regelmäßige Schulspeisungen
– Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch
Zwischen 1933 und 1945 war der Frauentag in Deutschland verboten. In der NS Zeit wurden traditionelle Frauenbilder propagiert. Der Muttertag entsprach dem Leitbild der Frau in der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung.
1946 wurde der 8. März in der Sowjetisch besetzten Zone (SBZ) wieder eingeführt. In der späteren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) mutierte er dann im Laufe der Zeit zu einer Art sozialistischem Muttertag.
In der alten Bundesrepublik Deutschland (BRD) gewann der Frauentag erst Ende der Sechziger Jahre durch das Engagement der Frauenbewegung wieder an Bedeutung.
1975 erklärten die Vereinten Nationen den 8. März zum „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frauen und für den Frieden.“ Dennoch führte der Tag in der alten Bundesrepublik Deutschland eher ein Nischendasein.
Seit Mitte der 90ger Jahre erlebt der Frauentag ein Comeback.
Während der Frauentag in den neuen Bundesländern in vielen Betrieben immer noch zur Alltagskultur gehört, hat er im gesamten Land einen Bedeutungswandel erfahren. Er rückte vom linken Rand in die Mitte der Gesellschaft.
In Berlin ist der Frauentag heute ein arbeitsfreier Feiertag.
Wenn Alice Schwarzer fordert: „Schaffen wir ihn endlich ab, diesen gönnerhaften 8. März. …“, dann läßt sich trefflich darüber streiten, ob und wie man diesen Tag begeht.
Wenn ich jetzt hier in die Runde der Ausschussmitglieder gucke, dann stelle ich fest, der Ausschuss setzt sich überwiegend aus alten weißen Männern zusammen, was mich mit einschließt.
Es ist plakativ, was ich jetzt sage und man kann jede Aussage analysieren und versuchen, die Unterschiede zu begründen, aber:
80% der Mitarbeitenden in systemrelevanten Berufen sind Frauen.
Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sind ein Fakt.
Übermorgen ist der Equal Pay Day. Bis dahin haben Frauen, gleiche Bezahlung wie Männer vorausgesetzt, quasi umsonst gearbeitet.
Frauen leisten 12 Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit weltweit, jeden Tag.
Ich bin überzeugt, daß wir von dem Ziel „Gleichheit“ in Form von gleichen, fairen Chancen und Gleichberechtigung noch ein ganzes Stück entfernt sind.
Ich will nicht gönnerhaft wirken und überreiche heute auch keine Rosen.
Ich habe auch keinen Rat, wie man den Tag angemessen begehen soll.
Aber, liebe Mitbürgerinnen, kämpfen Sie für Ihre Rechte.
Ingo Buth