Nazi Sprache gestern und heute

Zur Analyse, Reflektion und Kritik rassistischer und antisemitischer Traditionen im Sprachgebrauch der Gegenwart

Das waren Titel und Untertitel des Vortrages, den Herr Prof. Dr. Jörg Kilian am Donnerstag, dem 25. Januar 2024 in der Tourist-Info im Rahmen der Vortragsreihe der Universitätsgesellschaft gehalten hat. Der Vortrag war sehr gut besucht, der Veranstaltungsraum platzte aus allen Nähten. Während des Vortrages war ich sehr angetan. Aufgrund einiger Denkanstöße habe ich mich dann etwas eingehender mit der Thematik beschäftigt und den nachfolgenden kritischen Beitrag geschrieben.

Ich habe den Beitrag vorab an Herrn Prof. Dr. Kilian übermittelt. Seine Anmerkungen habe ich in meinen Text eingearbeitet und in kursive Schriftart gekennzeichnet.

Bereits mit den einleitenden Worten wurden mehrere Themen angesprochen, die sich später in den Gliederungspunkten wiederfanden. Eigentlich wollte ich mich chronologisch an den Notizen entlanghangeln, die ich mir während der Veranstaltung auf meinem Handy gemacht hatte. Aber so ist das mit dem Prinzip der Eigentlichkeit. Der ursprünglich von mir erstellte Text war in seinem chronologischen Aufbau in sich nicht stringent. Daher habe ich mich daran gesetzt, ihn neu zu überarbeiten. Dieser Beitrag zum Blog ist mir wichtig, weil ich der Überzeugung bin, dass der Gebrauch von Sprache im Alltag durchaus von Bedeutung ist. Worte haben eine Bedeutung, die sich im Laufe der Zeit auch verändern kann. Alltagssprache hat einen Einfluß auf das individuelle und kollektive Bewußtsein.
„Aus Gedanken werden Worte, aus Worten werden Taten“, so das Schlusswort einer Zuhörerin.

Bei der weiteren Beschäftigung mit dem Thema fiel mir auf, dass sich einige Äußerungen, die im Vortag zur Sprache kamen, in ihrer Darstellung zu hinterfragen oder zu ergänzen sind.
Ich bin weder Sprach- noch Geschichtswissenschaftler. Darum erhebe ich auch keinen wissenschaftlichen Anspruch an diesen Beitrag. Aber ich habe mir Gedanken gemacht und mir eine Meinung gebildet.

Im wesentlichen beziehe ich mich in diesem Essay auf meine Notizen aus dem Vortrag von Prof. Dr. Kilian und seine Kommentare zum Entwurf meines Essays, einem Interview mit dem Sprachforscher Thorsten Eitz aus der Süddeutschen Zeitung vom 17. Mai 2021 und auf mehrere Beiträge in Wikipedia.

Schade fand ich, dass Herr Prof. Dr. Kilian es verpasst hat, den angesprochenen Lösungsweg zum Umgang mit Nazi-Sprache – die Didaktische Sprachkritik – in der praktischen Anwendung zu zeigen.
Dabei geht es darum, den Gebrauch von Worten kritisch zu hinterfragen und dann die Bedeutung herauszuarbeiten, um gemeinsam die Frage zu beantworten, ob man bestimmte Worte tatsächlich verwenden sollte oder vielleicht doch andere.
Ein älterer Herr begann in der Fragerunde darüber zu sprechen, dass die Medien uns manipulieren würden. Seine Äußerungen bezogen sich auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Er sprach ausdrücklich ARD und ZDF an. Das ist die typische Argumentationsweise von Querdenkenden und Verschwörungstheoretiker*innen, die dann gleich gerne auf alternative Medien und alternative Fakten zu sprechen kommen.
Er leitete in seiner Argumentationskette allerdings übergangslos auf die Berichterstattung zum israelisch-palestinensischen Konflikt über.
Das ist sehr häufig der klassische Einstieg in eine antisemitische Argumentation, egal von welcher politischen und/oder religiösen Seite. Hier hätte ich mir eine eindeutige Reaktion gewünscht.
Für meinem Zwischenruf: „Das ist ja wohl am Thema vorbei!“ bekam ich nach der Veranstaltung ein positives Feedback.

Dabei muss allerdings bedacht werden, dass die didaktische Sprachkritik, soweit ich es verstanden habe, auf den Schulunterricht abzielt. Insofern decken sich die Aussagen aus dem Vortrag mit Ergebnissen meiner Internetrecherche, beispielsweise mit diesem Beitrag des (seriösen) Springer-Verlags.
(https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-476-04852-3_52)
Wenn das so ist, dann stellt sich natürlich die Frage, wie mit Nazi-Sprache außerhalb des schulischen Bereiches umzugehen ist oder wie man ihr in den Sozialen Netzwerken am wirkungsvollsten begegnen kann.

Als anderer Lösungsansatz wurde die Political Correctness genannt. Dazu führte Prof. Dr. Kilian zwei Gründe an, warum dieses Konzept nicht funktionieren könne:
Erstens: Es wäre wirkungslos, bestimmte Worte aus den Sprachschatz zu streichen, weil die negativen Bedeutungen dann auf die ersatzweise verwendeten Begriffe übertragen würden. Ergänzend möchte ich Herrn Prof. Dr. Kilian zitieren:
Sehr viel bedeutsamer ist, dass es schlicht nicht möglich ist, ein Wort aus dem Sprachgebrauch von weltweit über 100 Millionen die deutsche Sprache sprechenden, hörenden, schreibenden, lesenden Menschen und aus allen Texten, die die deutsche Sprachgeschichte überliefert, „zu streichen“ oder „zu ersetzen“ “

Das kann man meiner Meinung nach nicht mit dieser Absolutheit sagen. Einer der Gründe ist, dass der Eindruck erweckt wird, hier unkritisch einen Kampfbegriff aus dem konservativen, aber ganz besonders aus dem rechts der CDU/CSU angesiedelten politischen Milieu zu übernehmen. Die Nutzung von Political Correctness als Kampfbegriff erfolgt zum Beispiel, wenn sie heutzutage mit dem Begriff Zensur in Verbindung gebracht und damit ein direkter oder indirekter Bezug zur klassischen Nachkriegsphrase:
„ …, aber das darf man ja nicht mehr sagen.“ hergestellt wird. 

Dabei ist Political Correctness kein Begriff unserer Zeit. Er wurde offenbar bereits 1793 in einem Prozess vor dem Obersten Gerichtshof der USA erwähnt, allerdings in der Form von politically correct. In Weiterentwicklung des ursprünglichen Konzeptes ging es darum, Ausdrücke zu vermeiden, die von anderen Gruppen, z.B. Frauen, People of Colour, Menschen mit Beeinträchtigungen oder indigenen Menschen als kränkend oder beleidigend empfunden werden könnten oder bewußt verwendet werden, um sie herabzusetzen. Besonders deutlich wird das bei der Verwendung des N-Wortes oder auch des Wortes „Mohr“, weil man mit ihnen stets auch ein kolonial geprägtes Über- und Unterordnungsverhältnis verbindet.
Eigentlich ließe sich Political Correctness auch synonym mit „Höflichkeit in der Sprache“ übersetzen.

Besonders interessant finde ich in dem Zusammenhag eine weitere Formulierung, die heute immer wieder gerne gebraucht wird: „Festung Europa“. Soweit mir bekannt, ist der Begriff schon vor der NS-Zeit entwickelt worden. Vermutlich wurde er bereits Anfang des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit den Napoleonischen Kriegen geprägt. 

Prof. Dr. Kilian ging darauf ein, dass der Ausdruck „Festung Europa“ in der Zeit der NS-Diktatur als Begriff für die Achse Berlin-Rom – das faschistische deutsch-italienische Bündnis – verwendet wurde, allerdings nur bis 1942.
Eine Festung wird verteidigt, aber nachdem sich das „Kriegsglück“ gegen die Achse Berlin-Rom gewendet hat (Undurchführbarkeit der Invasion Groß Britanniens nach Verlust der Luftschlacht um England, Scheitern des als Blitzkrieg geplanten Überfalls auf die Sowjetunion, erdrückende Materialüberlegenheit der Alliierten nach der deutschen Kriegserklärung an die USA), wollte man auf keine Fall den Eindruck erwecken, sich in einer Verteidigungssituation zu befinden. Die Verwendung der Formulierung „Festung Europa“ wurde offiziell untersagt, ersatzweise wurde die Verwendung des Wortes „Westwall“ angeordnet. Dennoch hielt sich der Ausdruck – aus der Sprache des Nationalsozialismusses „gecancelt“ – als Ausdruck der Sprache im Nationalsozialismus.

Vielleicht ist das jetzt gehässig, aber ich sehe darin einen Fall von Political Correctness in braun. Es geht um die Macht der Worte, die Deutungshoheit und darum, wie durch die Deutung das Bewusstsein und die öffentliche Meinung beeinflusst werden sollen.
Heute ist der Begriff der “Festung Europa” nach meine Erfahrung interessanterweise doppeldeutig. Im linken Milieu wird er genutzt, im damit die Abschottung Europas gegen die Einwanderung zu kritisieren, er ist also negativ besetzt.
Im rechten Milieu wird er – in Abgrenzung zum linken Milieu – gerne genutzt, weil man genau das will und im Nebeneffekt dem linken Milieu seinen Kampfbegriff streitig macht.

Ein anderer Fall der Politikal Correctness in braun ist der Begriff „Drittes Reich“. Er stammt wohl ursprünglich aus dem Sprachschatz des Nationalsozialismus.
Weil der Ausdruck „Drittes Reich“ aber den Rückschluss nahelegen kann, dass in absehbarer Zeit auch ein „Viertes Reich“ denkbar ist, wurde er durch den Ausdruck „1000-jähriges Reich“ ersetzt. Diese Beziehung für die NS-Diktatur beinhaltet einen gewissen Ewigkeitsanspruch.
Offenbar geht der Begriff „Drittes Reich“ ursprünglich wohl auf eine christlich-theologische oder philosophisch-utopisch Tradition des Abendlandes zurück, grob vereinfacht auf den „Dreisprung“: Erstes Reich: heidnisches Naturrecht; Zweites Reich: alttestamentarisches Recht; Drittes Reich: nachendzeitlicher Herrschaft des heiligen Geistes.
Die Verbindung dieses „Dritten Reiches“ mit einer messianischen Heilserwartung war dann möglicherweise auch nicht zufällig, sondern vermutlich gut durchdacht. Herr Prof. Dr. Kilian führte in seinem Vortrag zu einem Einlegeblatt zum Stammbuch aus der NS-Zeit aus:
„In Anlehnung an die Formulierung der zehn Gebote wird … der Stil der religiösen Normen gewählt:
„Du sollst Dir möglichst viele Kinder wünschen.“

Auch das Wort „Mädel“ nahm bereits in der Einführung des Vortrages Raum ein und wurde später im Vortag noch einmal vertieft. 

Bei der Verwendung des Wortes Mädel, etwa im Zusammenhang mit einem „Mädelsabend“, ist heute den wenigsten bewußt, dass der „Bund deutscher Mädels“ eine Unterorganisation der Hitlerjugend war, 1944 die größte weibliche Jugendorganisation der Welt. Somit stellte der Vortragende die Frage, ob der Begriff belastet wäre oder wieder „frei“ verwendet werden könnte oder sollte. Anhand einer Karte zeigte er später, dass das „Mädel“ in süddeutschen Raum durchaus umgangssprachlich üblich ist, in Norddeutschland aber nicht.
Das macht die Beantwortung der Frage, ob man den Begriff verwenden sollte oder eben nicht, nicht einfacher.

Es stellt sich für mich aber auch die Frage, ob die alten, noch vor einigen Jahren belasteten Begriffe wieder vermehrt von Neu-Rechten in die Umgangssprache eingeführt werden, weil sie vermeintlich „fei“ sind. Ich sehe die Gefahr, dass sowohl die Wörter, vor allem aber die ehemals damit verbundenen Bedeutungen auf diese Weise wieder „salonfähiger“ gemacht werden.

Soviel zu einigen Überlegungen, die ich mir bereits aufgrund der einleitenden Worte gemacht habe.

Nachfolgend halte ich mich relativ eng an meine Mitschrift des Vortrags. Die Stichworte habe ich im Anschluss an den Vortrag in der Rechtschreibung korrigiert und z.T. in Sätze gefasst. Ich will allerdings nicht für mich in Anspruch nehmen, alles richtig verstanden zu haben.
Das Ergebnis meiner überarbeiteten Notizen ist die nachfolgende Punktuation:

Was ist Nazi-Sprache?

Im Vortrag unterscheidet Herr Prof. Dr. Kilian zwischen der
Sprache des Nationalsozialismus:
– Blut und Boden (selbsterklärend)
– SS (nicht Sommersemester, sondern Schutzstaffel, eine Säule des Terrorsystems der NS-Diktatur)
– Rasse (nicht nur biologisch blödsinnig, von Juden als Menschenrasse zu reden, aber als Kampfbegriff wirkungsmächtig. Ich zitiere Herrn Prof. Dr. Kilian: „Viele Millionen Menschen jüdischen Glaubens sind, durch diesen Sprachgebrauch befördert, erst gesellschaftlich geächtet und dann physisch ermordet worden.“
und der
Sprache im Nationalsozialismus
– abholen (beschönigend für willkürliche Verhaftung oder Verschleppung)
Erläuternd zitierte Prof. Dr. Kilian Ruth Westheimer, die NS-Regime überlebt hat und für die der nachfolgende Satz weiterhin traumarisierend ist:
“Mein Vater war schon abgeholt”
Außerdem:
– betreuen (beschönigend für ermorden)
– Sonderbehandlung (beschönigend für Ermordung)

Zur Sprache des Nationalsozialismus gehörte auch der schnelle Wechsel in der Ansprache unterschiedlicher Milieus, etwa der Akademiker und der Proletarier. Dieser Tiefenstil verhinderte beim Zuhörer, Aussagen kritisch zu hinterfragen.

Typisch war auch die Kategorisierung von Menschen, etwa: „Deutschblutig“, „Mischling“ „Jude“
„Der Jude“ wurde im Sprachgebrauch des Nationalsozialismus auch gerne in Verbindung mit Unkraut, Ungeziefer und Schädling gebracht. Verbunden damit sind die Assoziationen „rausreißen“ oder „vernichten/ausrotten“.
Hier wird bewußt die Einzahl verwendet, aber die Mehrzahl gemeint. Damit werden unterschwellig alle Menschen jüdischen Glaubens über einen Kamm geschoren. Ergänzend werden ihnen dann negative Eigenschaften zugeschrieben, beispielsweise die Verbindung von Religion und Kapital sowie darauf aufbauend die Steuerung der Weltwirtschaft zu Lasten des keinen Mannes und zum Nutzen derer, die über das Kapital verfügen.

Welche Worte haben sich bereits von der Sprache im Nationalsozialismus frei gemacht und können mehr oder weniger bedenkenlos verwendet werden?

Bei abholen ist es wohl so. Wenn wir davon sprechen, dass wir unsere Kinder von der Kita abholen, werden die allwenigsten vermuten, dass dieser Begriff in der Zeit des NS-Regimes für viele mit Angst und Schrecken verbunden war. Das Gleiche gilt wohl auch für die Verwendung des Begriffes betreuen. In der Zeit der NS-Diktatur verstand man unter der „Betreuung“ (Ermordung/beschönigend auch: Eutanasie) von – nach Auffassung des NS-Systems lebensunwerten – Behinderten etwas ganz anders als heute bei der Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen.
Beim Wort „Sonderbehandlung“ sieht das schon anders aus. Die Beschimpfung: „Du brauchst wohl eine Sonderbehandlung“ ist nach meiner Auffassung mit Sicherheit ebenso verwerflich wie die Verwendung von „Du Jude“ als Schimpfwort.

Auch nach dem 8. Mai 1945, dem Kriegsende in Europa und der totalen Niederlage der deutschen Streitkräfte, also dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, ist die Sprache des und im Nationalsozialismus nicht verschwunden, auch wenn zum Beispiel der „Deutsche Gruß/Hitler Gruß“ durch die Alliierten verboten wurde.

Dennoch werden verschiedene Worte nach 1945 bis heute in der Alltagssprache verwendet.
So erstritt sich Professor Grzimek (Ein Platz für Tiere) im Jahr 1976 das Recht, den Begriff KZ-Eier verwenden zu dürfen.
Oskar Lafontaine sorgte für einen Skandal, als er im Jahr 2005 den das Wort „Fremdarbeiter“ verwendete. Das Wort wurde in der Zeit der NS-Diktatur für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen (auch Zivilarbeiter oder Ostarbeiter) verwendet.
(Kleiner ergänzender Exkurs: Im Universitätsbetrieb war zu meiner Zeit die Abkürzung HiWi für studentische Hilfskräfte gebräuchlich. Das ist wohl auch noch heute so.
HiWi war aber in der NS-Zeit die Abkürzung für Hilfswillige, meist kooperationswillige kriegsgefangene Soldaten oder kooperationswillige Zivilisten aus den besetzten Gebieten, die untergeordnete Aufgaben in der Wehrmacht oder SS, aber auch in anderen Institutionen des NS-Systems wahrgenommen haben.)
Um mehrdeutige Wörter zu hinterfragen, hat Prof. Dr. Kilian dann das „Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache“ empfohlen.
Hier der Link: (dwds.de)
Ich hab das einmal für das Wort HiWi gemacht. Das Ergebnis im DWDS hat mich nicht unbedingt überzeugt.:
(https://www.dwds.de/wb/Hiwi?o=hiwi)
Wikipedia scheint hier deutlich präziser zu sein.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Hilfswilliger)
Bei den Erläuterungen zu dem Wort Fremdarbeiter fand ich DWDS überzeugender:
(https://www.dwds.de/wb/Fremdarbeiter?o=Fremdar+beiter)

Der letzte Gliederungspunkt des Vortrages war: „Zum Umgang mit und zur Reaktion auf Nazi-Sprache in der deutschen Gegenwart“. Dazu habe ich mich aber bereits eingangs geäußert.

Alles in allem war das möglicherweise nicht der beste Vortrag, den ich gehört habe. Aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist der Denkanstoß, den ich mitgenommen habe und den ich hiermit weitergeben möchte.
Auch wenn der Vortrag viele interessante Informationen beinhaltet hat, so kam doch Beantwortung der Frage, wie man mit Nazi-Sprache im Alltag umgehen sollte, aus meiner Sicht etwas zu kurz. Zudem waren die Aussagen dazu etwas zu sehr auf den Schulbereich fokussiert. Hier hätte ich mir mehr Anregungen, auch untermauert durch Beispiele aus der Praxis, gewünscht.
In dem Zusammenhang stelle ich mir die Frage, ob es dafür überhaupt ein Patentrezept geben kann.
Außerdem hat die Beschäftigung mit dem Themenkomplex mir auch klar gemacht, wie wichtig es ist, seinen eigenen Sprachgebrauch kritisch zu hinterfragen. Ich habe ursprünglich beim Erstellen des Textes an einigen Stellen den Begriff „1000-jähriges Reich“ verwendet, weil es wegen des Scheiterns des NS-Systems eine gewisse Absurdität beinhaltet, die sich auch auf das NS-System überträgt. Schließlich wissen so ziemlich alle, dass aus 1000 Jahren, einer gefühlten Ewigkeit, noch nicht einmal 13 Jahre wurden. Auf Anraten meiner Lektorin habe ich dann aber darauf verzichtet, Nazi-Sprache zu übernehmen.
Vielleicht sollte ich selber auch an meinem eigenen Umgang mit Nazi-Sprache arbeiten.

Diskriminierende Sprache im Alltag

Es läßt sich lange darüber diskutieren, welcher Zusammenhang zwischen unserem Sprachgebrauch und dem gesellschaftlichen Bewusstsein besteht. Ein abschließendes Ergebnis dazu wird es nicht geben. Wie verändert Sprache das sozial Zusammenleben? Welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen dem, was man sagen will, dem was man sagt und dem, was der Empfänger der Botschaft versteht? Was ist sachlich, was ist emotionell belegt. Was ist Ausdruck von bewußten oder unterbewußten Vorurteilen? Was trägt es zur Verharmlosung oder Verfestigung von Vorurteilen bei? Werden Begriffe, die früher “normal” waren und heute durchaus als diskriminierend angesehen werden ganz bewußt in einer Art Kulturkampf eingesetzt?
In diesem Beitrag geht es mir darum, auf die häufig unbedachte Nutzung des Ausdruckes “Mohr” hinzuweisen. In Plön wird dieser Begriff gerne verwendet, wenn es um Christian Gottlieb geht, der auch als “schwarzer Trompeter” oder “Mohr von Plön” bezeichnet wird. Der Begriff ist zum Beispiel Bestandteil eines Buchtitels, aber er wurde auch in einem Beitrag des Novemberausgabe des “mein plönerseeblick” verwendet.
Da Briefe von Lesern und Leserinnen entweder gar nicht oder nur an einer Stellen abgedruckt werden, wo sie mehr oder weniger nicht wahrgenommen werden, wende ich mich nun in einem offenen Brief an den Autor und den Herausgeber des Beitrages im “mein plönerseeblick”.
Ich habe beide Herren vorab informiert und ihnen angeboten, in einem eigenständigen Beitrag in meinem Blog Stellung zu nehmen.

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Sehr geehrte Herren Kentsch und Falkenstein,

im allgemeinen lese ich „mein plönerseeblick” mit Freude und Interesse. Daher erlaube ich mir, auf den Beitrag „Nachrichten von Gestern“ mit dem Titel: „Als der Mohr Mode war …“ einzugehen.
Ich möchte voranstellen, dass ich Ihnen ausdrücklich keinen Rassismus vorwerfe, Sie aber zu einen sensiblere Umgang im Gebrauch diskriminierender Begriffe anregen möchte.  

Die fast durchgehende Nutzung des Wortes „Mohr“ wirkt auf mich überaus befremdlich, zumal der Name des Mannes, um den es geht, bekannt ist. Es geht um Christian Gottlieb. 

Das Wort „Mohr“ ist ein sehr altes Wort, das – soweit ich weiß – vom spanischen Wort Moro abgeleitet ist und die Bewohner Mauretaniens meint. Später wurde es auf Afrikaner aus der Subsaharazone übertragen. In der Zeit des Absolutismus/Barock  hat man versklavte Menschen aus Afrika auch als „Mohren“ bezeichnet.  Sie wurden entweder als billige Arbeitskräfte geschunden oder als exotische Prestigeobjekte in den Herrenhäusern Europas gehalten. Daher war der Begriff Mohr damals wie heute untrennbar mit einem Unterordnungsverhältnis „ weißer Herr – farbiger Sklave“ verbunden. Der Begriff Prestigeobjekt, den Sie völlig zu Recht verwenden, macht aus dem untergeordneten Sklaven im wörtlichen Sinne sogar ein Objekt. Es entmenschlicht ihn. Er wird als Objekt noch eine Ebene unterhalb eines Tieres eingeordnet. 

Seit mehreren Jahrzehnten wird das Wort „Mohr“ im Sprachgebrauch zunehmend als diskriminierend betrachtet. Während es in der frühen Neuzeit im Gegensatz zu „Heide“ oder „Neger“ noch nicht diskriminierend verwendet wurde, entwickelte es sich über den Lauf der Zeit zu einer stereotypen Bezeichnung, die eine bestimmte Vorstellung von farbigen Menschen weckt. 
Denken Sie an den „Sarotti-Mohr“. Es spiegelt den Menschen aus Afrika als Exoten, gleichzeitig aber auch als Wilden und Minderwertigen wieder.  
Diese stereotypen Bilder finden sich in der Figur am ehemaligen Finanzamt am Markt und in der geschnitzten Figur im Kreisheimatmuseum wieder. Dort gibt es auch noch eine zusätzliche Erläuterung, die eigentlich überarbeitet werden müßte. 

Hinzu kommt, dass der Begriff „Mohr“ von den meisten Afrodeutschen als Bezeichnung für sich selbst abgelehnt wird. Es gibt wenige – besonders in erzkonservativen oder reaktionären Kreisen oft und gerne zitierte – Afrodeutsche, die mit der Bezeichnung als „Mohr“ nach eigenem Bekunden kein Problem haben. Der großen Mehrheit gegenüber stellt die Verwendung des Begriffes eine Unhöflichkeit, Abwertung oder Beleidigung dar. 

Auf manche mag die inflationäre Verwendung des Begriffes wie eine Trotzreaktion gegen die „Political Correctness“ wirken, die vermeintlich als Bedrohung ihres Weltbildes empfundene wird. Für den Anderen wäre der Verzicht auf die Verwendung des überkommenden Begriffes ein Zeichen von Rücksichtnahme, Höflichkeit und Respekt. 

Völlig zurecht schreiben Sie auch: „Es gab zu dieser Zeit Menschen wie den Grafen Rantzau, die keinerlei Vorurteile gegen Menschen anderer Hautfarbe hatten, es gab aber auch sehr viele wie heute, die der Meinung waren, dass Farbige nichts wert seinen.“ 

Christian Gottlieb hatte einen Lebensweg, der sich mit Sicherheit von dem der allermeisten Afrikaner unterschieden hat, die in die Sklaverei verschleppt wurden. Hier in Plön wird gerne die Geschichte der Liebe zur Bürgermeisterstochter erzählt, weil die so schön romantisch ist, was sie auch ist. Es handelt sich aber um eine zu der Zeit völlig untypische Liebesheirat.
Gleichzeitig ist es aber auch eine Geschichte von Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus, an deren Ende die Ermordung des freigelassenen Sklaven Christian Gottlieb steht. Dabei ist es nebensächlich, ob die Tat möglicherweise nur aus Habgier erfolgt ist. 

Die unbedachte Verwendung von Begriffen wir „Mohr“  kann den Alltagsrassismus, der in vielen Köpfen bewußt oder auch unbewußt vorhanden ist, noch verfestigen. Die Lehre, die man aus dem Schicksal von Christian Gottlieb und der heutigen Erinnerung an ihn ziehen könnte, ist, auf die Verwendung von Begriffen, die vor 250 Jahren noch keine negative Bedeutung hatten, heute zu verzichten, weil sie heute mit abwertenden Stereotypen verbunden sind.