Dem Altstadtcharakter eine Chance

Vorweg möchte ich auf die beiden nachfolgenden Beiträge hinweisen, die sich ebenfalls mit Themen aus der Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt befassen.

In der Sitzung wurde durch den Architekten ein Höhenprofil zum Gerberhof/Gebäude Lübecker Straße 9 präsentiert. Aus den Bildern ging hervor, das auch der geplante Neubau nicht höher sein wird als die umliegenden Gebäude.
Gleichzeitig wurde aber auch klar, daß sich das geplante Gebäude optisch nicht in das Straßenbild einfügen wird.
Dafür gibt es zwei meßbare Kriterien.
Erstens: die Dachneigung. Sie ist deutlich geringer als beim bestehenden Gebäude und bei den benachbarten Gebäuden. Nach Aussagen des Architekten ist eine größere Dachneigung aber problemlos möglich.
Zweitens: die Fenster. Stehende Fensterformate sind in der Langen Straße aus gestalterischen Gründen vorgeschrieben und auch in der Lübecker Straße vorherrschend. Liegende Formate wie beim vorgestellten Entwurf widersprechen dem vorhandenen Bild und werden nach meiner Einschätzung als Fremdkörper wahrgenommen.
Natürlich wäre es auch schön, wenn Backsteine verwendet werden, und zwar weichere, nicht harte und glasierte.

Im Laufe der Diskussion stellte sich heraus, daß nicht nur ich, sondern auch mehrere andere Mitglieder des Ausschusses der Auffassung sind, daß sich der vorgestellte Entwurf gestalterisch nicht in den vorhandenen Bestand einfügen wird. Ich habe mich in zwei Wortbeiträgen gegen eine Bagatellisierung dieses Themas ausgesprochen. Im Gegenzug wurde die Frage aufgeworfen, ob man nicht eine moderne Gestaltung im Stil der Zeit bevorzugen würde.
Diese Auffassung war offenbar nicht mehrheitsfähig, auch wenn Herr Dr. Höppner auf die Charta von Venedig verwies, in der Nachbauten und Rekonstruktionen abgelehnt werden.

Ich habe im Anschluß an die Sitzung nach der Charta von Venedig gegoogelt. Sie stammt aus dem Jahr 1964 und ist mittlerweile 50 Jahre alt. Wie ich feststellen mußte, wurde sie 1987 durch ein Charta von Washington ergänzt, die auf der VIII. ICOMOS-Generalkonferenz beschlossen wurde und sich ausdrücklich auf die Charta von Venedig bezieht.

Art 9 aus der Charta von Venedig (1964):
Die Restaurierung ist eine Maßnahme, die Ausnahmecharakter behalten sollte. Ihr Ziel ist es, die ästhetischen und historischen Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen. Sie gründet sich auf die Respektierung des überlieferten Bestandes und auf authentische Dokumente. Sie findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt. Wenn es aus ästhetischen oder technischen Gründen notwendig ist, etwas wiederherzustellen, von dem man nicht weiß, wie es ausgesehen hat, wird das ergänzende Werk von der bestehenden Komposition abheben und den Stempel unserer Zeit tragen. Zu einer Restaurierung gehören vorbereitende und begleitende archäologische, kunst- und geschichtswissenschaftliche Untersuchungen.
Anmerkung: Bei uns in Plön beginnt keine Hypothese. Wir wissen, wie der Gerberhof (Lübecker Straße 9) aussieht. Daher braucht sich das neue Gebäude auch nicht von der bestehenden Komposition abheben und den Stempel unserer Zeit tragen.

Aus der Charta von Washington (1987):
8. Neue Funktionen und Aktivitäten sowie die Einrichtung einer zum heutigen Leben gehörenden Infrastruktur müssen mit dem Charakter der historischen Stadt oder des städtischen Bereichs vereinbar sein.
10. Falls es notwendig sein sollte, Gebäude neu zu errichten oder umzubauen, muß die bestehende räumliche Struktur, besonders Parzellenteilung und Maßstab, respektiert werden. Zeitgenössische Elemente können eine Bereicherung sein, soweit sie sich in das Ensemble einfügen.
Anmerkung: Die Punkte 8. und 10. decken sich mit der Forderung, ein Gebäude zu planen, daß sich auch gestalterisch einfügt. Die Forderung nach einem modernen Gebäude läßt sich hieraus jedenfalls nicht ableiten.

Im Übrigen erwähnte ich noch einmal den Margarethenhof in Flensburg als gelungenes Beispiel für neue Gebäude, die sich harmonisch in das malerische Altstadtviertel Jürgensby einfügen.
Dazu verweise ich auf meinen Bericht vom am 9. Juni 2014.