Gesinnungsethik als Schimpfwort mißbraucht

Der Gebrauch der Begriffe Gesinnungs- und Verantwortungsethik geht auf einen Vortrag des deutschen Soziologen Max Weber https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Weber zurück, der am 28. Januar 1919 vor dem „Freistudentischen Bund. Landesverband Bayern“ zum Thema „Politik als Beruf“ gehalten wurde. Der Text des Vortrages wurde erheblich erweitert und im Juli 1919 als Buch bei: Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. (Altenburg) veröffentlicht.
http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/weber_politik_1919?p=68

Heute ist der Begriff Gesinnungsethik eindeutig negativ, der Begriff Verantwortungsethik eindeutig positiv belegt. Der Text von Max Weber liest sich in der Tat so, als wenn er der Verantwortungsethik den Vorzug geben würde, während er auf Seite 57 die Gesinnungsethik mit der Maxime: „Der Zweck heiligt die Mittel“ charakterisiert. Allerdings kommt er zum Ende seiner Arbeit zu folgenden, doch sehr differenzierten Aussagen:
„Wir müssen uns klar machen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann „gesinnungsethisch“ oder „verantwortungsethisch“ orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede.“ (Seite 56)
„Politik wird zwar mit dem Kopf, aber ganz gewiß nicht nur mit dem Kopf gemacht. Darin haben die Gesinnungsethiker durchaus recht. Ob man aber als Gesinnungsethiker oder als Verantwortungsethiker handeln soll, und wann das eine und das andere, darüber kann man niemandem Vorschriften machen.“ (Seite 64)
„Insofern sind Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den „Beruf zur Politik“ haben kann.“ (Seite 65)

Z. tritici

Heute lief der letzte Wintervortrag im hiesigen Max-Planck Institut zum Thema: Entstehung von neuen Krankheiten im Agrar-Ökosystem. Vorgetragen hat Frau Prof. Dr. Eva Stukenbrock.

Ich wußte bereits, daß der Mensch eine ungeheure Anzahl von Mikroorganismen beherbergt. Das dies auch für Pflanzen zutrifft, ist zumindest mir relativ neu, auch wenn mir die Existenz symbiotischer Beziehungen durchaus bekannt war. Die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Pflanze und Mikroorganismen scheint noch in den Kinderschuhen zu stecken.

Besonders interessant fand ich die Ausführungen zu der Verbreitung der Blattdürre, einer Krankheit, die durch Pilze (Z. tritici / Zymoseptoria tritici) ausgelöst wird und besonders Weizen befällt. Der Weizen wurde vor 10 bis 12.000 Jahren im „fruchtbaren Halbmond“ (Jordan, Euphrat und Tigris-Gebiet kultiviert. Seit ca. 11.000 Jahren wird er durch die Pilzkrankheit befallen. Anhand genetischer Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, daß sich die Pilze aus dem Bereich des heutigen Israel und Iran kommend zuerst nach China und Mitteleuropa verbreitet haben. Von Europa aus sprang die Krankheit dann nach Nord- und Südamerika, Südafrika und Australien über.

Der Pilz dringt durch den Spaltapperat des Blattes in die Wirtspflanze ein. Über die Ausschüttung von Proteinen manipuliert er das Immunsystem seines Wirtes und breitet sich aus. Seine Nahrung bezieht er aus Zellen, die er zum Absterben bringt. Der Pilz bildet dann innerhalb der Blätter Sporen, die für eine weitere Verbreitung der Krankheit sorgen.

Die durch die agrarwirtschaftliche Umgebung bestimmte Umwelt sorgt für eine Vielzahl genetisch identischer Wirtspflanzen sowie für deren homogene zeitliche und räumliche Verteilung. (Eine feine Umschreibung für Monokulturen.) Das begünstigt die Ausbreitung der Pilzerkrankung.

Der Z. tritici konnte mittlerweile eine Resistenz gegen Pflanzenschutzmittel entwickeln, in diesem Fall gegen Fungizide. Der Pilz hat 21 Chromosomen, davon 13, die als essential und 8, die als dispensable bezeichnet werden. Soweit ich es verstanden habe, wird die Anpassung des Pilzes an die Fungizide durch eine Veränderung im Bereich der Chromosomen vermutet, die als dispensable bezeichnet werden.

Die Apfelsine ist ein Bastard

Mit dem Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie gibt es eine in Plön wenig beachtete Forschungseinrichtung, die weit über Plön hinaus einen hervorragenden Ruf in der  Wissenschaftswelt genießt.

Um die Forschungsanstalt und ihre Aktivitäten der einheimischen Öffentlichkeit näher zu bringen,  wird über Winter eine Vortragsreihe veranstaltet. Der heutige Vortrag von Herrn Dr. Arne Nolte zum Thema „Hybride in der Natur – Sonderlinge oder Wunderkinder“ war mit ca. 70 Gästen gut besucht.

Weitere Vorträge folgen am 1. Dezember, 5. Januar 2015 und 2. Februar 2015, jeweils um 1900 im Hörsaal des MPI.

Hybrid steht in der Biologie für Kreuzung, Mischling oder Bastard. Was mir völlig unbekannt war ist, daß die Apfelsine ein Hybrid aus Pampelmuse und Mandarine ist.

Zu Beginn des Vortrages wurde die den meisten Zuhörerinnen und Zuhörern wahrscheinlich geläufigen Definition der Art als „Eine Gruppe Organismen, die sich von allen anderen Gruppen von Organismen unterscheiden und sich untereinander fortpflanzen und fruchtbaren Nachwuchs erzeugen können.“ relativiert. Unterschiedliche Arten wie Tiger und Löwe können sich paaren und bekommen zeugungsfähigen Nachwuchs. Wer es nicht glaubt, sollte einfach mal bei Google Bildersuche „Liger“ eingeben. (Ich hab es getan.)

Nicht so farbig wie die Apfelsine und weniger spektakulär wie der Liger ist die Groppe, ein kleiner auf dem Grund von Flüssen und Bächen lebender Fisch. In Europa gibt es zwei Arten von Groppen. Eine Art kommt in Großbritannien und im Flußsystem der Schelde vor, die andere Art im Flußsystem des Rheines. Beide Arten bevorzugen kleine Fließgewässer, Bäche mit Kies und steinigem Grund.

Vor ca. 200 Jahren wurden die Flußsysteme von Rhein und Schelde über zahlreiche Kanäle miteinander verbunden. Man nimmt an, daß die beiden Groppenarten über die neu geschaffenen künstlichen Wasserstraßen in Kontakt miteinander gekommen sind und sich gekreuzt haben. Der Nachwuchs wurde im Vortrag als „Invasive Groppe“ bezeichnet. Anfang der 80ger Jahre wurden erste Bestände der Invasiven Groppe im Rhein festgestellt. Anders als die beiden bis dahin bekannten Arten, die schnell fließende Bäche bevorzugten,  siedelten die Invasiven Groppen in den langsam strömenden Flüssen und breiteten sich vom Rhein aus auch in den Nebenflüssen, etwa der Sieg oder der Mosel aus.
Die Befürchtung, daß die „Flußgroppen“ die „Bachgroppen“ verdrängen würden, bestätigte sich nicht. Untersuchungen des Erbgutes haben gezeigt, daß es lediglich im Mündungsbereich zu einer Vermischung des unterschiedlichen Erbgutes kommt, bereits nach kurzer Distanz vom Mündungsbereich gibt es deutlich erkennbare Unterschiede im Erbgut. Die Bachgroppe bleibt im Bach, die Flußgroppe bleibt im Fluß.
Die Aufzeichnung der Wassertemperaturen der Sieg und der Bröl, einem Nebenfluß der Sieg, hat gezeigt, daß die Wassertemperatur in den Nebenflüssen etwas niedriger liegt als im Fluß selber. Die Temperatur ist für wechselwarme Tiere wie Fische ein ganz entscheidender Faktor, so daß die Vermutung nahe liegt, daß genetischen Unterschiede und die Wassertemperatur in einer Wechselbeziehung stehen.
Weitere Forschungsergebnisse bleiben abzuwarten.
Interessant war auch zu erfahren, daß die Flußgroppe im Rhein durch mehrere Grundelarten verdrängt wird, die über den Rhein-Main-Donaukanal in das Flußsystem des Rheines einwandern. So sollen – zum Ärger der Sportfischer – bei Köln ca. 80% der Biomasse von Fisch bereits aus Grundeln bestehen. Soweit ich es verstanden habe, entwickelt sich der Bestand an Grundeln besonders gut im wärmeren Wasser, (Kühlwasseraustritte von Kernkraftwerken und Industriebetrieben), so daß die Flugroppen in den Nebenflüssen des Rheines wie etwa der Mosel oder Sieg weiterhin vorkommen.

Hybridisierung ist aber auch in unseren Gewässern nicht unüblich. Hybride zwischen Brassen und Rotaugen sollen häufiger vorkommen als gedacht. Den Namen „Leiter“ für diese Fische habe ich vorher auch noch nie gehört.

Um mit Paul Senkblei zu fragen: Was lernt uns das? Es gibt Dinge auf dieser Welt, die man bei Google noch nicht findet.

Safe the Date, die nächsten Vorträge:
1. Dez 14, Dr. Lutz Becks, Warum gibt es eigentlich Männer?
5. Jan 15, Dr. Tobias Lenz, Die fantastische Anpassungsfähigkeit unseres Immunsystems
2. Feb 15, Prof. Dr. Bernhard Haubold, Wie liest man das menschliche Genom?
Jeweils um 1900 im Hörsaal des MPI.