Vor 100 Jahren II

Ich hatte bereits Anfang Juli, 100 Jahre nach den Attentat auf den österreichischen Thronfolger, über die diplomatischen Vorgänge geschrieben, die letztendlich zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führen sollten. Heute vor 100 Jahren erklärte Österreich – Ungarn Serbien den Krieg und setzte damit eine verhängnisvolle Spirale in Gang.

Die weiteren österreichisch-ungarischen Überlegungen wurden durch das bevorstehende französisch-russische Gipfeltreffen in St.Petersburg (später Leningrad) bestimmt. Der österreichisch-ungarische Außenminister Berchtold wollte auf jeden Fall vermeiden, daß das Ultimatum bekannt gemacht wird, wenn sich der französische Präsident Poincare in der russischen Hauptstadt aufhält. So sollte vermieden werden, daß die beiden Verbündeten auf höchster Ebene schnell zu einer gemeinsamen und abgestimmten Position kommen.

Eine Seereise von der französischen Kanalküste nach St. Petersburg nahm seinerzeit ca. fünf Tage in Anspruch. Das Eintreffen der französischen Delegation war für den 20. Juli vorgesehen. Ein österreichisch-ungarisches Ultimatum mit einer 48-stündigen Laufzeit hätte also bereits am 18. Juli abgegeben werden müssen, um eine russisch-französische Abstimmung unmöglich zu machen.
In Anbetracht der Tatsache, daß sich noch Teile der österreichisch-ungarischen Truppen im Ernteurlaub befanden und die Zeit für die Mobilmachung auch noch hinzukommen würde, wurde dieser Zeitplan verworfen.

Berchtold ging weiterhin davon aus, daß die französische Delegation St. Petersburg am 25. Juli wieder verlassen wird. Daher wurde beschlossen, daß Ultimatum an Serbien erst abzugeben, wenn die französische Delegation wieder an Bord und auf der Seereise nach Frankreich ist. Dieser Plan hatte zudem den Vorteil, daß Frankreich und Rußland so keine Zeit und noch weniger Gelegenheit hätten, sich abzustimmen. Voraussetzung für das Funktionieren des Planes war eine strikte Geheimhaltung.
Weiterhin ging man auf deutscher und österreichisch-ungarischer Seite davon aus, den Krieg auf Österreich-Ungarn und Serbien begrenzen zu können.

Es war Berchthold selber, der die Geheimhaltung brach. Er hatte Graf Heinrich von Lützow eingeladen, am Montag, dem 13. Juli an einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter Tschirschky und dem östereichisch-ungarischen Unterstaatssekretär Graf Johan von Forgach teilzunehmen. Lützow war von 1904 bis 1910 österreichisch-ungarischer Botschafter in Italien und wurde anschließend in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er war ein enger Freund Berchtholds. Der Grund, Lützow hinzuzuziehen war vermutlich, sich einen unabhängigen Rat von ihm einzuholen.
Lützow warnte, daß die Vorstellung, einen Konflikt mit Serbien „lokalisieren“, also örtlich begrenzen zu können, ein reines Phantasieprodukt sei.

Es ist nicht klar, ob Berchthold Lützow zu Stillschweigen verpflichtet hat. Lützow kehrte auf seinen Landsitz zurück. Auf einem benachbarten Landsitz residierte der britische Botschafter in Wien, Sir Maurice de Bunsen, mit dem Lützow freundschaftlich verbunden war. Am 15. Juli trafen sich beide zu einem gemeinsamen Mittagessen. Lützow erläuterte, daß man Serbiens Unverschämtheiten nicht länger dulden werde und nach Abschluß von Untersuchungen eine Note übergeben werde. Sollte Serbien nicht nachgeben, würde man Gewalt anwenden, um es zu zwingen.

Über die Motivation Lützows, diese Informationen an die Briten zu geben, kann nur spekuliert werden.

Der britische Botschafter informierte am Folgetag seinen Außenminister Sir Edward Grey, daß eine Art Anklageschrift gegen die serbische Regierung vorbereitet würde wegen der Beteiligung an einer Verschwörung, die zur Ermordung des Erzherzogs geführt habe. Deutschland hätte den österreichisch-ungarischen Absichten bereits zugestimmt.

Am Folgetag machte Bunsen einen Termin mit Berchthold, um weitere Informationen einzuholen bzw. um die vorhandenen Informationen zu verifizieren. Berchthold ist auf das Thema aber nicht eingegangen.

In einem Gespräch mit dem italienischen Botschafter soll dieser gegenüber Bunsen geäußert haben, daß er sich nicht vorstellen könne, daß man Serbien unzumutbare Forderungen stellen würde, da weder der furchtsame Berchthold nach der vorsichtige Kaiser Franz Joseph eine solch unkluge Vorgehensweise gutheißen würde. Mit der Information der Italiener sollte das Thema bald ein offenes Geheimnis sein.

Am 16. Juli 1914 sprach der britische Botschafter mit dem russischen Botschafter in Wien, Nikolei Schebeko. Dabei erfuhr Schebeko, daß es im österreichisch-ungarischen Außenministerium ein Gespräch zwischen Berchthold und Forgach gegeben habe, bei dem es um die Formulierung einer scharfen Note an Serbien ging. Diese Note sollte drastische Forderungen enthalten, die für einen souveränen Staat nicht akzeptabel sind.
Schebeko informierte umgehend den russischen Außenminister Sergei Sasonow mit der Bitte, dem Wiener Kabinett klar zu machen, wie Russland auf die Tatsache reagieren würde, wenn Österreich-Ungarn Forderungen an Serbien stellen würde, die mit der Würde des Staates nicht annehmbar sind.

Zudem war es den Russen gelungen, die Verschlüsselung der österreichisch-ungarischen Diplomatenpost zu brechen. Aus zwei abgefangenen Telegrammen, die den Termin der Abreise der französischen Delegation behandelten, ließen sich Rückschlüsse auf die Absichten Berchthold’s ziehen.

Der Stabschef des russischen Außenminister, Baron Moritz Schilling war von seiner Stellung her mit Hoyos in Wien und Zimmermann in Berlin vergleichbar. Er hatte bereits vor Eingang der Informationen von Schebeko eigene Überlegungen zum möglichen österreichisch-ungarischen Vorgehen angestellt, nachdem er ein Gespräch mit Maquis Andrea Carlotti di Riparbella, dem italienischen Botschafter in St. Petersburg, geführt hatte. In diesem Gespräch brachte Schillig seine Überzeugung zum Ausdruck, daß die Überzeugung Österreich-Ungarns, den Konflikt lokalisieren zu können, abwegig sei und Russland nach seiner Einschätzung nicht gewillt sei, eine Demütigung Serbiens hinzunehmen. Er vertrat gegenüber Carlotti die Auffassung, daß eine russische Warnung an Wien als Provokation oder Ultimatum aufgefaßt werden könne und zu einer weiteren Verschärfung der Situation beitragen könne. Seine Empfehlung war, daß eine der mit Österreich-Ungarn verbündeten Nationen, also Deutschland oder Italien, eine entsprechende Warnung an Wien übermittel sollte.

Am 18. Juli 1914 kehrte der russische Außenminister von einer Reise auf das Land zurück und wurde von seinem Stabschef über das Telegramm von Schebeko und das Gespräch mit Carlotti informiert. Dies geschah in Vorbereitung auf ein für 11:00 Uhr festgesetzten Gesprächstermin, der auf Wunsch des österreichisch-ungarischen Botschafters in St. Petersburg, Graf Friedrich Szapary zustande kam.
Dabei versuchte Szapary herauszufinden, ob die Russen etwas von den österreichisch-ungarischen Absichten wissen und wenn ja was, während der russische Außenminister das Thema umging und jede Andeutung vermied, daß er über die Wiener Absichten bereits im Bilde war.
Nur acht Stunden nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub und ca. 24. Stunden vor dem Gipfeltreffen der russisch-französischen Allinanz mit dem französischen Präsidenten Poincare und den Premieminister Rene Viviani zog der russische Außenminister bereits militärische Maßnahmen als Antwort an ein österreichisch-ungarisches Ultimatum an Serbien in Betracht.
Am folgenden Tag informierte er den Zar Nikolaus II.
Der Plan Berchthold’s war zu diesem Zeitpunkt bereits hinfällig.

Vor hundert Jahren

Die Doppelmonarchie Österreich Ungarn hatte in den Balkankriegen 1913 und 1913 ein Erstarken Serbiens und einen schleichenden eigenen Bedeutungsverlust erfahren müssen. Hardliner im österreichischen administrativ-politischen Geflecht (z.B. Graf Leopold Brechtold, gemeinsamer Minister des Äußeren Österreich – Ungarn, Franz Conrad von Höltzendorf, Chef des Generalstabes) sahen in dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Öste einen willkommenen Anlaß, Serbien anzugreifen. Einziger einflußreicher Kriegsgegner war der ungarische Ministerpräsident, Graf Stefan Tisza.
Brechthold ließ den österreichisch – ungarischen Kaiser einen Brief und ein weiteres Dokument für den deutschen Kaiser unterzeichnen und lancierte sie am ungarischen Ministerpräsidenten vorbei. Um keine Aufmerksamkeit im Ausland, aber auch nicht beim ungarischen Ministerpräsidenten Tisza zu erregen, reiste nicht Brechtholdt selber nach Berlin. Er schickte Graf Alexander Hoyos, Legationsrat im Ministerium für Äußeres.

Hoyos begab sich am 5. Juli direkt in die österreichisch-ungarische Botschaft und übergab die Dokumente an den Botschafter, den betagten Graf Ladislaus Szögyeny-Marich. Während sich Hoyos in das deutsche Außenministerium begab, um sich dort mit dem Unterstaatssekretär Arthur Zimmermann zu treffen und Österreichs Entschlossenheit zu bekunden, verschaffte sich Szögyeny-Marich einen Termin beim Kaiser. Trotz seines hohen Alters und seiner Gebrechlichkeit wußte Szögyeny-Marich den Kaiser zu nehmen. Der deutsche Kaiser erkannte die Formulierung „Serbien als politischen Machtfaktor auf dem Balkan zu eliminieren“ als das, was sie war, nämlich die Absicht, einen Vergeltungskrieg gegen Serbien zu führen. Der deutsche Kaiser erkannte sehr wohl, daß dies „ … ernsthafte europäische Komplikationen befürchten“ ließe. Noch beim Mittagessen stellte er fest, daß er sich hierzu nicht ohne Rücksprache mit dem deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg äußern könne. Nach dem Nachtisch und dem Kaffee sprach Szögyeny-Marich ihn erneut an und verband damit das Thema der Gefährdung der monarchischer Systeme an sich und das monarchische Prinzip. Obwohl der deutsche Kaiser erneut darauf hinwies, daß er sich ohne vorherige Rücksprache mit dem Reichskanzler nicht äußern könne, äußerte aber seine Meinung, daß die österreichischen Aktionen gegen Serbien nicht aufgeschoben werden dürften. Rußlands Haltung wurde als vermutlich feindselig vermutet, aber im Falle eines russischen Angriffes auf Österreich-Ungarn würde das Deutsche Reich Österreich-Ungarn als Verbündeter beistehen.

Szögyeny-Marich kehrte in seine Botschaft zurück und übermittelte die „frohe Kunde“ nach Wien. Kaiser Wilhelm berief eine Besprechung mit seinen militärischen Beratern ein. Daran nahmen teil: Sein Adjudant General Hans von Plessen, General Mortiz von Lynker, Chef des Militärkabinetts, General Friedrich von Falkenhayn, preußischer Kriegsminister und Kapitän Zenker als Repräsentant der Marine und Vertreter von Admiral Tirpitz. Nach den Erinnerungen von General Plessen bestand mehrheitlich die Auffassung, daß die Russen, obwohl mit Serbien verbündet, nicht eingreifen würden. Die Notwendigkeit militärischer Maßnahmen gäbe es nicht, der Kaiser könne zu seiner Ostseekreuzfahrt in See stechen.
General Falkenhayn stellte fest, daß in den Dokumenten nicht ausdrücklich von Krieg die Rede ist und die österreichisch-ungarischen Absichten sehr unbestimmt seien, eine Auffassung, der sich auch der Reichskanzler von Bethmann Hollweg anschloß.

Hoyos teilte Zimmermann mit, daß Österreich einen überraschenden Angriff auf Serbien plane mit dem Ziel, das Staatsgebiet unter Österreich-Ungarn, Bulgarien und Albanien aufzuteilen.

Am 6. Juli trafen Bethmann Hollweg, Szögyeny-Marich, Hoyos und Zimmermann zusammen. Es gelang Ihnen, den deutschen Reichkanzler von der Ernsthaftigkeit der österreichisch-ungarischen Absichten zu überzeugen. Hierbei soll Bethmann Hollweg nach den Erinnerungen des österreichisch-ungarischen Botschafters geäußert haben, daß Österreich-Ungarn selbst entscheiden müsse, was es zu tun hat, aber fest damit rechnen kann, daß Deutschland als Verbündeter an seiner Seite stehen würde. Was den internationalen Standpunkt anginge – also die Möglichkeit eines Krieges – hielte Bethmann Hollweg den jetzigen Zeitpunkt für günstiger als irgendeinen späteren.
Hiermit wurde der „Blankoscheck“ des Kaisers bestätigt.

Der deutsche Kaiser vertrat am 6. Juli bei einer Besprechung mit seinen militärischen Beratern die Auffassung, daß Rußland – namentlich der Zar – im Hinblick auf die Ursache, also den Prinzenmord, nicht eingreifen würde. Er verließ Berlin um 09:15 und brach zu seiner Ostseekreuzfahrt auf.

Die Ermordung des Thronfolgers erregte weder in Frankreich noch in England großes Aufsehen.
In Frankreich verfolgte man die Affäre um den linksgerichteten Politiker Caillaux, der Opfer einer Schmutzkampagne des nationalistischen „Figaro“ wurde. Der Redakteur Calmette veröffentlichte unter anderem die Liebesbriefe von Caillaux an seine Geliebte Henriette. Im März 1914 erschoß Henriette den Redakteur Calmette. Der Ausgang des Prozesses war entscheidend für die weitere politische Karriere Caillaux und erregte mehr Aufmerksamkeit als die Vorgänge in Sarajevo.
In England berichtete die Times sehr ausführlich, allerdings wurde der Tod des österreichisch-ungarischen Thronfolgers durch die Berichterstattung über die Nachwirkungen des „Vorfalls von Curragh“ verdrängt. Die Frage, wie die Entwicklung in Irland weitergehen würde beschäftigte die öffentliche Diskussion schon seit langem und nahm einen breiten Raum in der Berichterstattung ein.

Für Russland war es von entscheidender wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung, den Zugang vom Schwarzen Meer durch die Dardanellen in das Mittelmeer für seine Schifffahrt frei zu halten. Daher war alles, was die Türkei schwächen konnte, und damit auch die Serbische Expansionspolitik, im russischen Interesse. Hinzu kam ein seinerzeit stark ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl der slawischen Völker. Hinzu kommt, daß der russische Gesandte in Serbien, Nikolai Hartwig, starke Vorbehalte gegen Österreich-Ungarn hegte und einen sehr viel regiederen Kurs verfolgte als sein Außenminister Sergei Sasonow. Es kann als gesichert angesehen werden, da Hartwig nicht nur über enge Kontakte zur serbischen Regierung verfügte, sondern auch zu Oberst Dragutin Dimitrijevic. Dimitrijevic war nicht nur Chef des serbischen Militärgeheimdienstes, er war gleichzeitig auch Führer des Geheimbundes „Schwarze Hand“, der an der Planung und Durchführung des Anschlags auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger beteiligt war.
Ob Russland oderHartwig in die Pläne eingeweiht war, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen.
Tatsache ist aber, daß sowohl Serbien wie auch andere Balkanstaaten jede Form der Anteilnahme verweigerten. Auch in Rußland nutzten Nationalisten die Gelegenheit, weiter gegen den angeblichen Russenhasser Franz – Ferdinand zu hetzen.
Gleichzeitig zeigte man in Rußland aber auch über die Angriffe der österreichischen Presse auf Serbien irritiert. Am 30. Juni kam Rußland dem serbischen Drängen nach Rüstungsgütern nach und lieferte 120.000 Gewehre und 120 Mio Schuß Munition.

Mit dem Blankoscheck in der Tasche tagte der österreichisch-ungarische Kriegsrat am 7. Juli 1914. Die Stimmung im Kriegsrat lief darauf hinaus, schnellstmöglich und entschieden zuzuschlagen. Diplomatische Feinheiten wie Kriegserklärungen hätten seit dem japanisch-russischen Krieg 1904 sowie den Balkankriegen 1912 und 1913, allesamt ohne Kriegserklärung, an Bedeutung verloren.
Es gelang dem ungarischen Ministerpräsidenten Tisza jedoch, die Entscheidung so zu beeinflussen, daß zumindest der Ansatz einer diplomatischen Lösung noch möglich wäre. In Folge wurde mehrheitlich die Position vertreten, daß die an Belgrad zu richtenden Forderungen so hart sein sollten, daß sie nicht annehmbar wären. Nur Tisza sprach sich für harte, aber erfüllbare Forderungen aus. Tisza wollte sich nicht noch einmal hintergehen lassen und bestand darauf, jede diplomatische Note an Serbien vor Abgang zu prüfen. Außerdem setzte er durch, daß eine Ablehnung nicht zwangsautomatisch eine Kriegserklärung nach sich ziehen würde, sondern ein weiteres Ultimatum.
Die Ultimaten sollten maximal 48 Stunden laufen, weil Serbien keine Gelegenheit gegeben werden sollte, die Mobilmachung einzuleiten.

Problematisch auch, daß sieben von 16 österreichisch-ungarischen Armeecorps im Ernteurlaub waren, aus dem fünf erst am 19. Juli und zwei am 25. Juli zur Truppe zurückkehren sollten. Ein vorzeitiger Rückruf aus dem Urlaub hätte die übrigen Beteiligten gewarnt. So mußte das Ultimatum noch ein wenig aufgeschoben werden.

1864, 150 Jahre Deutsch – Dänischer Krieg.

Morgen vor 150 Jahren begann der Deutsch Dänische Krieg, der auch als Zweiter Schleswig Holsteinischer Krieg bekannt ist. Während die Medien hierzulande sehr ausführlich über den Ersten Weltkrieg berichten, dessen Ausbruch sich zum 100dersten Mal jährt, hat der Deutsch – Dänische Krieg für unser Nachbarland im Norden bis heute eine nachhaltige geschichtliche Bedeutung, die der des Ersten Weltkrieges bei uns in nichts nachsteht.

Den ersten Schleswig Holsteinischen Krieg 1848 bis 51 konnten die Dänen in der Schlacht bei Idstedt für sich entscheiden. Sie konnten den militärischen Sieg aber nicht diplomatisch umsetzen. Im Londoner Protokoll von 1852 wurden die politischen Zustände der Vorkriegszeit festgeschrieben. Dänemark behielt zwar die Herrschaft über die Herzogtümer Schleswig und Holstein, die Herzogtümer selber behielten aber ihre Eigenständigkeit. Über die Verfassungsfrage kam es zu Spannungen mit dem Deutschen Bund. Die Verfassung mußte vereinbarungsgemäß für das dänische Kernland sowie die Herzogtümer Schleswig und Holstein gleichermaßen gelten. Eine liberale Verfassung wie im dänischen Kernland gefordert hätte über kurz oder lang zur Abspaltung des Herzogtums Holstein und ggf. auch des Herzogtums Schleswig geführt, in denen starke nationalliberale Bewegungen deutschgesinnter Schleswiger und Holsteiner bestanden. Ihre Zielsetzung war die Loslösung von Dänemark und die Aufnahme in den Deutschen Bund als eigenständige politische Einheit. Nationalliberale dänisch gesinnte Schleswiger strebten eine engere Bindung an den dänischen Staat an, auch unter Inkaufnahme der Loslösung von Holstein. So schloß die neue dänische Verfassung zwar Schleswig in ihren Geltungsbereich ein, Holstein aber nicht.
Dies wurde vom Deutschen Bund als Bruch des Londoner Abkommens angesehen. Im Dezember 1863 besetzten Bundestruppen Lauenburg und Holstein. Am 14. Januar 1864 erklärten Österreich und Preußen, daß sie gegenüber Dänemark unabhängig vom Deutschen Bund handeln werden und stellten zwei Tage später ein Ultimatum. Dänemark sollte die Novemberverfassung aufheben und das Herzogtum Schleswig räumen. Eine Aufhebung der Novemberverfassung war aus juristischen Gründen nicht möglich, Dänemark ließ das Ultimatum verstreichen.

Die Kampfhandlungen des Zweiten Schleswig Holsteinischen bzw. Deutsch-Dänischen Krieges begannen am 1. Februar bei Rendsburg. Preußische und Österreichische Truppen überschritten die Eider, die die Schleswig – Holsteinische Grenze markierte. Die erste dänische Verteidigungslinie verlief entlang des Dannewerkes. Sie wurde von den Österreichern ab dem 3. Februar frontal angegriffen. Die Preußen versuchten gleichzeitig, die Schlei bei Missunde zu überqueren und die dänische Verteidigung zu umgehen, um den Dänen in den Rücken zu fallen. Der Versuch in Missunde wurde abgewehrt, der Übergang über die Schlei gelang aber am 6. Februar bei Arnis.

Die dänischen Truppen mussten sich zurückziehen, um nicht eingekesselt zu werden. Hierbei kam es am selben Tag bei Oeversee zu einem Gefecht zwischen Österreichern und Dänen. Entsetzt vom Leid auf dem Schlachtfeld machten sich Flensburgerinnen und Flensburger auf den Marsch nach Oeversee, um die Verwundeten und Gefangenen zu versorgen. Dieses Ereignis entspricht dem damaligen humanistischen Geist. Die Gründung des Roten Kreuzes und die Erste Genfer Konvention fallen ebenso in diese Zeit wie 10 Jahre zuvor die Pflege von Verletzten und Erkrankten im Krimkrieg durch Florence Nightingale und die in Deutschland nahezu unbekannte Mary Seacole.

Nach dem Rückzug bezogen die dänischen Truppen die – noch nicht vollständig ausgebauten – Stellungen auf den Düppeler Schanzen, die den Übergang nach Sonderburg auf der Insel Alsen sicherten. Hier standen sie den preußischen Truppen gegenüber, während die Österreicher die Festung Fredericia belagerten. Vor Düppel entbrannten erbitterte Kämpfe. In Anbetracht der in London anlaufenden Friedensverhandlungen versuchten beide Seiten, durch die Eroberung oder durch die Verteidigung die Voraussetzungen für eine starke Verhandlungsposition zu schaffen.
Den Preußen gelang es, die Düppeler Schanzen am 18. April 1864 zu erstürmen.
Entscheidend für den preußischen Erfolg waren die neuartigen Kanonen der Firma Krupp, die auch auf große Reichweite immer noch präzise und wirkungsvoll treffen konnten und die Stellungen der Dänen sturmreif schossen. Es wird immer wieder behauptet, daß die Einführung des Zündnadelgewehres bei den preußischen Truppen kriegsentscheidend war. Das ist meines Wissens nicht richtig. Diese Waffe, die gegenüber dem bis dahin üblichen Vorderlader im Liegen, also in der Deckung, nachgeladen werden konnte und ein schnelleres und genaueres Treffen ermöglichte, war nur bei wenigen Truppenteilen verfügbar. Dort zeigte sich aber die deutliche Überlegenheit des neuen Gewehres.
Die Friedensverhandlungen waren erfolglos und wurden abgebrochen, der Krieg wurde fortgesetzt. Die Preußen eroberten Sonderburg und die Insel Alsen, die Österreicher rückten in Jütland weiter vor. Dänemark geriet in eine immer bedenklichere Position und mußte an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dabei mußten weiter gehende Zugeständnisse an Österreich und Preußen gemacht werden. Mit dem Frieden von Wien im Oktober wurde der Krieg beendet.
Preußen erhielt die Herzogtümer Sachsen Lauenburg und Schleswig, das Herzogtum Holstein fiel an Österreich.

Dänemark, das 1814 bereits Norwegen an Schweden abtreten mußte, verlor erneut einen erheblichen Teil seines Territoriums, einschließlich der nach Kopenhagen zweit- und drittgrößten Städte (Flensburg und Kiel). Damit ging der Verlust von ca. 40% der Bevölkerung einher.

Nur zwei Jahre später wurde Holstein von Preußen annektiert. Preußen trat aus dem Deutschen Bund aus und erklärte Österreich den Krieg. Hier konnten die Preußen am 3. Juli 1866 in der Schlacht bei Königgrätz den entscheidenden Sieg erringen, wobei hier erstmalig in großem Rahmen Zündnadelgewehre zum Einsatz kamen. Darüber hinaus fanden sowohl Telegrafen zur schnellen Informationsübermittlung wie auch Eisenbahnen zur schnellen Verlegung von Truppen Einzug in die Kriegsführung in Europa. Die Schlacht bei Königgrätz legt die weitere Entwicklung in Richtung auf eine Kleindeutsche Lösung, also die Bildung eines Deutschen Staates ohne Österreich, fest. Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wird durch den Sieg in der Schlacht bei Sedan der Kristallisationskern für die Deutsche Reichsgründung gelegt.

Die militärischen Siege von Düppel, Königgrätz und Sedan gehören zum Gründungsmythos des Deutschen Reiches und waren im damaligen kollektiven Bewußtsein fest verankert. Sie sind nach meiner Einschätzung mit einer der Gründe dafür, daß die Überhöhung des Militärischen, der preußische Militarismus, bestimmend für die geschichtliche Periode des Deutschen Reiches ist.

Obwohl die Dänen bei Düppel geschlagen wurden, bildete die erbittert geleistete Gegenwehr die Wurzel für den Mythos des Dänischen Widerstandswillens. Politisches Versagen und militärische Fehlentscheidungen werden verdrängt, Symbolisch hierfür steht der Anstecker der Mühle von Düppel, der in Dänemark sehr bekannt sein soll.

Nach der preußischen Annexion und dem darauf folgenden Übergang in das Deutsche Reich begann der dänisch gesinnte Bevölkerungsanteil im Landesteil Schleswig zunehmend, die eigene kulturelle Identität hervorzuheben und zu stärken. Dänische Vereine wurden gegründet und mit dem Flensborg Avis erscheint eine dänischsprachige Zeitung. Bei den Wahlen verläuft die Grenze zwischen mehrheitlich dänisch wählenden und mehrheitlich deutsch wählenden Schleswigern in etwa entlang der heutigen Staatsgrenze, wobei es in Flensburg mit ca. 52% dänischem Stimmanteil eine hauchdünne Mehrheit gibt.

Durch den Wegfall der Zollgrenze an der Elbe erschließen sich neue Märkte, gleichzeitig treten starke Konkurrenten auf. Besonders die Flensburger Tabak- und Spirituosenindustrie leiden. Die guten Handelsbeziehungen zwischen Dänemark und England fallen weg, das beeinflußt besonders den Export landwirtschaftlicher Güter. Durch die Entwicklungen im Ackerbau verdrängt die Zuckerrübe den Rohrzucker, in Folge brechen die Importe von Zucker aus der Karibik ein. Dazu kommt, daß sich die karibischen Märkte für den Handel mit den geographisch deutlich besser gelegenen USA öffnen und die Versorgung der westindischen Inseln entfällt. Die traditionellen Handelsbeziehungen mit der Karibik werden bedeutungslos. Das hat grundlegende Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben, wobei die negativen Einflüsse durch andere Entwicklungen kompensiert werden. Die Niederlage 1864 ist nicht die Ursache für diese Entwicklungen, sie beschleunigt sie aber.

Durch die Eisenbahn sowie die Kreisbahn wird das Hinterland in Nordschleswig und Angeln deutlich besser erschlossen. Flensburg entwickelt sich zum zentralen Ort in der Region. In der Gründerzeit nach 1871 kommt es zur Gründung der Flensburger Dampfschifffahrtgesellschaft und der Flensburger Schiffbaugesellschaft, die 1900 das größte private Unternehmen in Flensburg sein soll.
Hinzu kommen die Aktienbrauerei und eine Privatbank zur Finanzierung der Investitionen.

Mit der Industrialisierung verdreifacht sich die Bevölkerung Flensburgs bis 1900 auf ca. 60.000 Einwohner. Damit verändert sich auch die Einwohnerstruktur. Mit dem Erstarken der SPD als Reaktion auf die sich wandelnden gesellschaftlichen Zustände verliert die nationale Frage an Bedeutung, soziale Fragen treten in den Vordergrund.

Dennoch spielt die Nationalitäten- und Minderheitenfrage nach 1918 und 1945 eine bedeutende Rolle im nicht immer unbelasteten Zusammenleben von Deutschland und Dänemark. Stets gibt es auf dänischer Seite die Furcht vor einem übermächtigen Deutschland. Nach Aussage des ehemaligen dänischen Ministerpräsidenten und NATO-Generalsekretärs Fogh Rasmussen tritt Dänemark erst nach Ende des Kalten Krieges und mit der Teilnahme an den militärischen Einsätzen in Afghanistan und im Irak aus dem Schatten der Niederlage von 1864 heraus.

Der Krimkrieg (1853 – 1856), der Amerikanische Bürgerkrieg (1861 – 1865), der Deutsch-Dänische Krieg (1864) und der Preußisch-Österreichische Krieg (1866) sind als erste moderne Kriege zu betrachten. Technische Entwicklungen beeinflussen die Kriegsführung. Hinterlader, mehrschüssige Gewehre, Maschinengewehre, leistungsfähige Kanonen, der Einsatz von Ubooten und gepanzerten Schiffen, die Blockade von Häfen, die Vernichtung der Lebensgrundlagen in ganzen Landstrichen, die Nutzung der Eisenbahn für die strategische Verlegung von Truppen, die Nutzung der Telegrafie zur Informationsübermittlung, der Einzug der Fotographie in die Medien und die Kriegsberichterstattung und die Reglementierung zum Schutz von Verwundeten und Zivilisten zeigen Entwicklungen auf, die sich 1914 im Ersten Weltkrieg fortsetzen werden.

Grundlage des Beitrags ist eine Vortragsveranstaltung, den ich gestern bei der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte gehört habe. Dort wurden sechs Vorträge von jeweis 15 Minuten gehalten. Aufgrund der späten Stunde verzichte ich jetzt darauf, den Beitrag korrekturzulesen und Bilder einzufügen.